Verflixte Hühnersuppe (German Edition)
mein Zimmer, die Hausaufgaben muss ich wohl oder übel am Küchentisch erledigen. Dafür habe ich aber ein winziges Fenster mit Blick in den Vorgarten. Ich kann die Eiche sehen und dahinter das Gartentor.
Ich warte, bis Anna einkaufen geht, dann schleiche ich mich zur Eiche hinaus. Bis zu einer Höhe von drei Metern sind alle Äste abgesägt worden. Eine Leiter ist nirgendwo zu sehen. Verstohlen sehe ich mich im Garten um, doch es steht nicht einmal eine Mülltonne oder eine Kiste herum, die ich zum Klettern benutzen könnte. Yannik hätte die Gegenstände von dort oben nicht wegräumen können, also muss er ein Seil zwischen den Ästen versteckt haben.
Die Augen zu Schlitzen geformt spähe ich hinauf. „Wäre doch gelacht, bekämen wir das nicht heraus! Was meinst du, kleiner Freund?“ Zärtlich streiche ich über das Zeichen in meiner Tasche, auch um mich zu vergewissern, dass es noch da ist.
Dann sehe ich mir den Baumstamm genauer an und bemerke mehrere blank gescheuerte Stellen. Anscheinend hangelt sich Yannik dort immer hoch und kratzt jedes Mal die Rinde an. Ich untersuche die Wurzeln, die zum Teil aus dem Boden herausschauen – und siehe da, ich entdecke einen dünnen Nylonfaden, der an ihnen festgebunden ist! Als ich daran zupfe, fällt ein armdickes Seil herab.
„Na also!“, flüstere ich und prüfe, ob das Seil auch hält. Langsam ziehe ich mich empor und klettere geschickt weiter, bis die Äste dünner werden und ich auf die Dächer der Häuser spähen kann. Der Wind pfeift mir um die Ohren und meine Hände sind zerkratzt, als ich die Plattform des Baumhauses erreiche. Es ist ein richtiges kleines Gebäude mit einer Tür, zwei Fenstern mit Glasscheiben und einem regendichten Dach aus Teerpappe.
Ich stoße die Tür auf.
„Verdammte Hacke!“, schreit Yannik. Vor Schreck rutscht er von einem Berg aus Decken, auf denen er lag. Mit aufgerissenen Augen starrt er mich an. „Was machst du denn hier?“
Es ist einfach zu köstlich! Ja, das müsstest du sehen: die wütend funkelnden Augen, das zerzauste Haar und die aufeinandergepressten Zähne! Ein Bild für die Götter!
Ich lehne gelassen an der offenen Tür. Nur einen Schritt rückwärts und ich würde mehr als zehn Meter in die Tiefe fallen! „Hi, lange nicht mehr gesehen!“
Grimmig starrt Yannik mich an. „Mach endlich die Tür zu!“, zischt er. „Hier wird es verdammt kalt!“
Ich werfe die Tür ins Schloss. Yannik hat sich mit einem Vorrat an Gummibärchen, Bananen und Trockenkuchen versorgt. Aus den Ohrstöpseln eines MP3-Players dröhnt Heavy-Metal-Musik. Überall, wo ich hinblicke, liegen Comics herum, da bleibt mir nichts anderes übrig, als mich auf einen Stapel Superman -Hefte zu setzen. „Das sind also deine Hausaufgaben …“
„Du klingst wie meine Mutter!“, knurrt Yannik gereizt. „Sicher hast du die Hausaufgaben auch noch nicht gemacht, oder?“
„Nee, das mach ich heute Nacht. Aber ist deine Mutter denn wirklich so schlimm?“
Er schnaubt wütend. „Das geht dich gar nichts an! Jedenfalls kommt sie hier nicht rauf! Und wehe, du verrätst ihr … Wie hast du überhaupt …?“
Ich muss lachen, als ich Yanniks gequälten Gesichtsausdruck sehe. Er hat blaue Augen, durchfährt es mich. Für einen Augenblick weiß ich selbst nicht, warum ich das denke. „Das ist doch ganz einfach!“, sage ich daraufhin rasch. „Die Spuren an der Rinde, nirgendwo eine Leiter – da liegt es nahe, dass du ein Seil versteckt hast. Vielleicht hättest du den Faden nicht festbinden sollen …“
„Dann ist er zu schwer zu finden. Er verheddert sich in den Ästen und ich komme gar nicht mehr dran.“
Ich nicke. Jetzt muss ich endlich einen ersten Versuch zu einer Versöhnung starten. Schließlich bin ich nicht dumm. Da ich zwei Jahre hier wohnen muss, kann ich mir eine Feindschaft mit Yannik eigentlich nicht leisten. „Trotzdem super Idee. Vielleicht solltest du eine umgeworfene Kiste neben den Stamm stellen, damit ein ungebetener Gast denkt, du kämst damit nach oben. Natürlich muss die Kiste so präpariert sein, dass er mit ihr zusammenkracht, sobald er da drauftritt!“
Als ich darüber lache, stimmt Yannik mit ein. Dann wird er schlagartig ernst. „Meine Mutter würde die Kiste sofort wegräumen. Sie ist megaperfektionistisch!“
Das hatte ich bereits geahnt. Ich sehe mich um und entdecke ein Wandgebilde aus Ästen, Federn, Perlen und unzähligen Schnüren. „Hübscher Schmuck!“, sage ich. „Hast du es selbst
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