Verflixter Kerl
hatten.
"Das wirst du mir büßen!", fauchte er.
"Hau ab!" Silke richtete sich auf und schlug noch einmal mit aller Kraft zu. Da sie ihm jetzt aber näher war, traf sie versehentlich seine Nase mit dem Handrücken, und Oliver jaulte laut auf wie ein getretener Dackel. Er hob die Faust, aber die wurde ihm im gleichen Moment festgehalten und nach hinten gerissen. Der alte Herr Klatt, der Besitzer dieser Pension, hatte den Lärm gehört und war herauf gekommen, um nachzusehen, was los war. "Soll ich die Polizei rufen, Frau Schönbohm?", fragte er.
Silke rieb sich das Handgelenk. "Nein danke. Der Herr wollte gerade gehen. Ich werde aber Anzeige erstatten, falls er wieder auftaucht, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dann mein Zeuge wären, Herr Klatt."
"Ich geh ja schon von selbst", sagte Oliver wehleidig und tupfte sich das Gesicht vorsichtig mit einem Papiertaschentuch ab. "Schade um all die teuren Rosen! Meine Güte! Und so eine Frau habe ich einmal geliebt!"
"Hast du nicht!", rief Silke ihm ins Treppenhaus hinterher. Das musste sein.
Als er zusammen mit dem Pensionswirt verschwunden war, schlug Silke die Tür hinter sich zu und warf sich aufs Bett, um das Gesicht ins Kissen zu pressen. Hemmungslos ließ sie ihren Tränen freien Lauf.
Auf einmal spürte sie eine tröstende Hand auf ihrer Schulter. Sie schaute auf, stellte aber fest, dass sie ganz allein im Zimmer war. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass es jemanden gab, de ihr beistehen konnte. Jemanden, der sie in die Arme nahm und zärtlich beschützte.
"Matthias!", murmelte sie. "Hilf mir!"
Silke warf einen Blick auf den Wecker und erschrak. Gerade in diesem Moment wollten sie sich im "Fischerstübchen" treffen. Matthias war bestimmt schon da, und sie war noch nicht einmal angezogen! Ihr Gesicht war völlig verheult.
Hastig wählte sie ein Kleid, zog sich an, wusch sich das Gesicht und entschied, dass sie doch ein wenig Make-up auflegen musste. So bleich wie sie war, konnte sie sich nicht sehen lassen. Silke überlegte, ob sie ein Taxi rufen sollte, aber es gab nur wenige auf der Insel, und bis eins hier war, wäre sie längst unterwegs. Etwa zehn Minuten lief man zum "Fischerstübchen". Da war sie auch mit dem Taxi nicht schneller. Hastig zog sie den Lippenstift nach, konnte sich dann aber nicht entscheiden, welche der beiden Jacken, die sie hierher mitgenommen hatte, am besten zu ihrem Kleid passte. Sollte sie vielleicht ein anderes... egal. Keine Zeit. Sie musste los.
Als sie gerade draußen war, stellte sie fest, dass sie ihr Geld nicht eingesteckt hatte. Zur Sicherheit musste sie welches dabei haben. Die Zeiten waren vorbei, dass eine Frau fest damit rechnen konnte, dass der Mann die Rechnung bezahlte, und sie hätte das auch gar nicht gewollt. Also nochmal hoch ins Zimmer. Kaum hatte sie ihre Geldbörse gefunden, läutete das Telefon.
"Nicht jetzt, Mutter!", rief Silke in den Hörer, als sie die schnarrende Stimme erkannte. "Ich bin in äußerster Eile."
"Lüg mich nicht an, Kind!", kam es zurück. "Du bist im Urlaub. Da gibt es nichts Eiliges. Ich will dich nur auf etwas vorbereiten. Kürzlich war ein fescher junger Mann hier, ein Ingenieur bei Blohm und Voss, der einen Narren an dir gefressen hat, wer weiß wieso. Den hast du gar nicht verdient, also halt ihn fest, wenn er kommt. Ich wollte dir nur sagen, dein Glück ist im Anmarsch. Greif endlich mal zu, mein Kind." Trotz der Verschliffenheit ihrer Worte brachte ihre Mutter es noch fertig, die Stimme theatralisch klingen zu lassen.
Silke glaubte die Mischung aus Kirschlikör, Aquavit und Schlagsahne, die ihre Mutter immer "mein
Special Drink
" nannte, fast riechen zu können. "Schon gut, Mutter", sagte Silke kalt. "Der Mann war hier, wurde unverschämt, und ich habe mir erlaubt, ihm das Gesicht blutig zu schlagen."
"Kind!"
"Und wenn er noch einmal auftaucht, rufe ich die Polizei. Ich hab's eilig. Tschüs, Mutter. Ich melde mich wieder." Silke ließ keine Antwort zu, sondern legte einfach auf.
Ihre Mutter war ein Problem. Seit Vater diesen Auto-Unfall hatte und pflegebedürftig in einem Krankenhaus in Hamburg-Bergedorf lag, drohte Mutter abzurutschen. Mit achtundvierzig fand sie keinen Job mehr, so sehr sie sich auch bemühte. Sie hatte angefangen zu trinken und zog sich mehr und mehr zurück. Mutters Traum war, dass Silke heiratete, weiter arbeiten ging und sie dann Enkelkinder zu betreuen hätte.
Jetzt wurde es aber Zeit! Silke hastete die Treppe hinunter und machte sich auf den Weg
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