Verflixter Kerl
Vierertisch auf einer Art Empore und winkte ihren Vater heran.
Er setzte sich, und gleich darauf stelzte die Wirtin auf wackeligen Stöckelschuhen heran. "Was darf's sein?"
"Ein Bier", sagte Matthias und sah seine Tochter an. "Was trinkst du?"
"Auf keinen Fall was Gesundes", erwiderte Sarah. "Ich hab' heute schon eine dicke Apfelsine gegessen und möchte nicht ausgerechnet in den Ferien einen Vitaminschock bekommen. Bringen sie mir eine Cola."
"Wir haben aber keine Kindercola", erwiderte die Wirtin, eine früh gealterte Enddreißigerin, diplomatisch.
Sarah klatschte beide Hände fest auf den Tisch und spielte die perfekte Gangsterbraut aus dem gestrigen Fernsehkrimi. "Ich brauch' den echten Stoff!" fauchte sie, wobei ihre Augen schalkhaft blitzten. "Was soll ich mit dem Kinderkram! Und dann die Speisekarte bitte."
"Sehr wohl!", erwiderte die Wirtin und musste lachen.
Als sie zur Theke ging, betrachtete Sarah das Regal hinter sich. Dort standen in kleinen Gestellen mehrere Buddelschiffe, und Sarah überlegte, wie die komplizierten Kunstwerke wohl in die Flaschen hineingekommen waren.
"Sie werden außerhalb der Flasche zusammengebaut, und die Masten haben winzige Gelenke", erklärte Matthias. "Man schiebt das Schiff zusammengeklappt durch den Flaschenhals, zieht an einem Faden, und schon klappt es auf wie ein Regenschirm."
"Toll!", rief Sarah aus und machte große, runde Augen.
In solchen Momenten liebte Matthias se ganz besonders. Es war ein phantastisches Abenteuer, miterleben zu dürfen, wie Kinder die Welt Stück für Stück begreifen lernten, und die Wissbegier seiner Tochter rührte tief in seinem Herzen.
"Eine Flaschenpost, das ist es! Du musst Silke eine Flaschenpost schicken."
"Das haut nicht hin", wandte Matthias ein, der fürs erste diese Diskussion vergessen wollte. "Man kann ja eine Flaschenpost nicht gezielt an jemanden schicken. An wirft sie ins Meer, und sie schwimmt irgendwo hin. Vielleicht nach Amerika, vielleicht zu den Eskimos, vielleicht in die Südsee. Stell dir vor, eines Tages steht eine Prinzessin von den Tonga-Inseln vor unserer Tür und sagt: Da bin ich!"
"Wäre doch gut. Eine echte Prinzessin.
"Tonga-Prinzessinnen sind aber qualledick. Das gilt da als besonders schön."
Sarah grinste. "Bei einer Mami ist das gerade richtig. Dicke Mamis können besser knuddeln."
Matthias konnte sich nicht vorstellen, woher seine Tochter diese Weisheit hatte, aber der Wunsch, geknuddelt zu werden, musste ja sehr groß sein, wenn sie sich schon eine besonders "umfangreiche" Mami vorstellte. Er beschloss, jetzt nicht weiter darauf einzugehen.
Das Kufsteinlied begann von Neuem, und als die Wirtin die Getränke und die Speisekarte brachte, beugte sich Matthias zu ihr und fragte: "Sagen Sie mal – hat da jemand aus Versehen doppelt gedrückt oder haben Sie nur dieses eine Lied in der Musikbox?" Ihm war es vor drei Jahren nämlich passiert, dass er auf einer Lese-Tournee in einem kleinen Hamburger Hotel gelandet war, in dessen Bar ununterbrochen "In the Summertime" von Mungo Jerry gespielt wurde, und sonst nichts anderes. Er hatte ausgerechnet das Zimmer darüber gehabt.
"Wir haben ein großes Sortiment von hundertzwanzig Titeln aus den Fünfzigern und Sechzigern", erwiderte die Wirtin. "Ich wäre froh, wenn mal jemand etwas anderes drücken würde. Diese Leute da hinten nerven meine Stammgäste und mich schon seit drei Tagen mit dem Kufstein-Lied." Sie winkte mit dem Kopf in Richtung eines Tisches hinter sich. "Mindestens zwanzig mal am Abend!"
"Du, das sind wieder mal die Sachsen!", zischte Sarah ihrem Vater zu. Tatsächlich entdeckte Matthias in einer Nische das Ehepaar, das ihnen schon mehrfach aufgefallen war. Das war diese Frau mit dem Hamsterbacken-Gesicht und ihr hagerer, großer Mann, der am Anfang ziemlich unterwürfig gewirkt und mit der Zeit aber eine Aufmüpfigkeit entwickelt hatte, die fast schon an Emanzipation grenzte.
"Können Sie nicht einfach die Musikbox abschalten?", schlug Matthias vor.
Die Wirtin schüttelte den Kopf. "Das darf ich nicht", sagte sie. "Ich habe einen Vertrag mit dem Automaten-Aufsteller. Ich muss leider ertragen, was die Gäste bezahlen."
"Aha", ächzte Sarah mit gespielter Gangster-Stimme und stieß ihren Vater in die Rippen. "He, Boss, ich brauch' ein paar frische Spiel-Chips."
Die Wirtin musste jetzt richtig laut lachen. "Du hast dir wohl einen Gangsterfilm angeschaut, was?"
Sarah nickte. "Leon der Profi. War gestern im Fernsehen, als mein Daddy am
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