Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Moore
Vom Netzwerk:
Damen zurückrufen?«
    Lucien setzte sich am Boden auf und lehnte sich ans Bett. » Ich habe nichts mehr gemalt, seit sie weg ist. Ich bin nicht mal mehr Bäcker. Régine hat sich heute um das Brot gekümmert. Dieses Bild war nicht nur das beste, das ich je gemalt habe, es ist das beste, das ich jemals malen werde. Nichts. Ich habe nichts. Ich bin nichts.«
    » Das ist nicht so schlimm«, sagte Henri. » Manchmal, tagsüber, wenn hier keine Männer herumsitzen und die Mädchen ganz allein sind, vergessen sie, dass ich da bin. Sie kämmen sich gegenseitig das Haar, sprechen flüsternd über Zeiten, als sie jung waren, oder waschen ihre Strümpfe in einer Schüssel. Sie schlafen eng umschlungen oder sinken einfach auf dem Bett in sich zusammen und schnarchen wie kleine Welpen, und ich sitze in der Ecke, mit meinem Skizzenbuch, und sage kein Wort. Manchmal ist das einzige Geräusch das Kratzen meiner Kohle auf dem Papier und das leise Plätschern in der Waschschüssel. Es ist eine Welt ohne Männer, sanft und sorglos, und die Mädchen werden zart wie Jungfrauen. Dann sind sie keine Huren mehr, wie sie es wären, sobald sie einen Schritt vor die Tür träten, oder wie sie es wären, wenn die Madame nach ihnen riefe, aber etwas anderes sind sie auch nicht. Sie sind irgendwas dazwischen. Nicht das, was sie mal waren, und nicht das, was aus ihnen geworden ist. In diesen Stunden sind sie nichts. Und ich bin unsichtbar. Auch ich bin nichts. Das ist die wahre demimonde, Lucien, und soll ich dir was verraten? Es ist gar nicht immer verzweifelt und finster. Manchmal ist es einfach nur nichts. Keine Erwartungen, kein Bedauern. Es gibt Schlimmeres, als nichts zu sein, mein Freund.«
    Lucien nickte und versuchte, irgendeinen Wert in der kalten Leere zu finden, die er in sich spürte, seit Juliette nicht mehr da war. Sein » nichts« war nicht so schmerzlos wie das von Henri und seinen Dirnen. Er sagte: » Und Carmen?«
    Henri nahm sein pince-nez ab und wurde nachdenklich, während er die Gläser an seinem Unterhemd putzte. » Carmen? Nein, sie war nicht nichts. Zusammen waren wir etwas Besonderes. Wenn ich an unsere Zeit auf dem Lande denke– wir rannten über Felder, wir kletterten auf Hügel, wir liebten uns im Stehen… den Rücken an einen Baum gepresst, hielt ich sie hoch. Ich weiß noch, wie mir die Rinde in den Rücken schnitt, doch mich kümmerte allein ihr Wohlergehen, und ich scheuerte mich blutig, während sie mich küsste. Sie und ich, zusammen.«

    » Das wusste ich nicht«, sagte Lucien.
    » Damals war ich kräftig. Damals, Lucien, war ich groß. Jetzt weiß sie nicht mal mehr, wer ich bin.«
    » Deine Bilder von ihr sind großartig«, sagte Lucien. » Deine besten, wie ich finde.«
    Henri lächelte. » Ich bin Toulouse-Lautrec, der Maler.«
    » Besser als nichts«, sagte Lucien.
    Henri ließ sich vom Stuhl gleiten und reichte Lucien die Hand, um ihm aufzuhelfen. » Gehen wir frühstücken und statten Theo van Gogh einen Besuch ab. Er kennt sich auf dem Kunstmarkt aus und weiß bestimmt, ob der Blaue Akt irgendwo angeboten wird. Wir finden das kleine Biest, das dein Bild gestohlen hat, und dann finden wir deine Juliette. Versprochen.

    Als er Seemann gewesen war, hatte Paul Gauguin von gelben Weizenfeldern geträumt, von roten Kühen, die auf Weiden grasten, und von braun gebrannten Bauern, die auf Heuhaufen schliefen. Als er Börsenmakler war, träumte er von Schiffen, die auf flachen, aquamarinblauen Meeren in der Flaute trieben, die Segel schlaff und bleich wie Leichentücher. Jetzt, als Maler, schlief er allein in seiner winzigen Pariser Wohnung und träumte von tropischen Inseln, auf denen braun glänzende Mädchen in kühlem Schatten wandelten wie Geister, und trotz der frischen Herbstnacht waren seine Laken schweißnass und umschlangen ihn wie Seetang einen Ertrunkenen.
    Er setzte sich auf die Bettkante und rieb mit beiden Händen über sein Gesicht, als könnte er das Bild wegwischen. Der Albtraum war nicht das Mädchen. Von Inselmädchen träumte er, seit er vor drei Jahren von Martinique zurückgekehrt war, doch diese war anders, eine Polynesierin im adretten, weiß-blauen Kleid, mit weißen Blumen im langen Haar. Das Mädchen machte ihm keine Angst. Sie war jung und hübsch und unschuldig, auf diese wilde, unverdorbene Art des Pazifiks, doch da war ein Schatten hinter ihr, etwas Kleines und Dunkles und Bedrohliches.
    Er hatte von diesem Mädchen schon früher geträumt. Sie war kein Ausdruck seiner Lust,

Weitere Kostenlose Bücher