Verflixtes Blau!
Juliette«, sagte der Farbenmann. » Die dunklen Augen– die helle Haut– schön und schlau.«
Berthe Morisot war vielleicht– neben Juliette– die schönste Frau gewesen, derer sich Bleu je bemächtigt hatte, vor allem in modernen Zeiten, doch Manet hatte dieses Bild vor so langer Zeit gemalt– wie und wieso tauchte es jetzt und hier auf? Sie gab sich alle Mühe, ihren Zorn auf den Farbenmann zu bändigen.
» Er hat sie wirklich angebetet«, sagte sie einen Moment später.
» Man hat den Eindruck, als wollte er am liebsten in das Bild hineinsteigen und mit ihr sterben.«
» Das hat er auch getan«, sagte Bleu.
Paris, April 1883
Manet lag im Sterben. Er schwitzte und zitterte vor Fieber. Man hatte ihm vor einer Woche den linken Fuß abgenommen, und der Stumpf fühlte sich an, als stünde er in Flammen. Seine Frau Suzanne flehte ihn an, das Morphium gegen die Schmerzen zu nehmen, doch davon wollte er nichts wissen. Auf keinen Fall wollte er die Klarheit seiner letzten Stunden verlieren, selbst wenn der Schmerz das einzige Lebenszeichen war, das ihm noch blieb.
Der Arzt nannte es lokomotorische Ataxie, denn der Arzt eines feinen Herrn verriet einer trauernden Ehefrau keinesfalls, dass ihr Mann an der Syphilis starb.
Bei Ausbruch seiner Erkrankung war er auf dem Höhepunkt seines Könnens gewesen. Zwei Jahre zuvor erst hatte ihn der Staat zum chevalier der Ehrenlegion ernannt und ihm damit einen lebenslangen Wunsch erfüllt, doch selbst jetzt noch lösten die Bilder, die ihm diese Ehre hatten zuteilwerden lassen, Das Frühstück im Grünen und Olympia, stets einen Skandal aus, sobald sie gezeigt wurden. Die Revolution, die er begonnen, der er sich jedoch nie angeschlossen hatte– der Impressionismus–, war mittlerweile von Erfolg gekrönt, und die Studenten, die sich 1863 bei dem Salon des Refusés wie Hündchen um ihn versammelt hatten– Monet, Renoir, Pissarro, Cézanne und Degas–, waren selbst große Namen, zumindest als Maler, wenn auch ohne finanziellen Erfolg. Sie alle waren in diesem Zimmer gewesen, hatten ihm gehuldigt und Abschied genommen, obwohl keiner es zugeben wollte. Doch das hatte nun ein Ende. Niemand sollte den Maler Manet so sehen.
» Suzanne, chère, keinen Besuch mehr. Bitte, sag ihnen, es täte mir leid. Danke ihnen, aber schick sie fort.«
Suzanne schickte alle fort, und zwischen den Tränen, die sie täglich vergoss, zwischen den schmerzhaften Augenblicken tiefster Einsamkeit, die sie schon jetzt durchlitt, weinte sie doch auch Tränen der Erleichterung, des Triumphes, der Freude– und schämte sich sogleich dafür. Sie war nicht gekommen, würde nicht kommen. Victorine, die vor so langer Zeit Modell für diese Bilder gestanden hatte, die hochmütige Dirne aus der demimonde, war nicht gekommen. Victorine, deren Blick Suzanne endlose Abende ertragen musste, da diese nackt und abschätzig von der Leinwand herabblickte. Olympia hing im Salon, und die zarte, verspannte Victorine sah sich an, wie die stämmige Suzanne ochsengleich durch ihr Haus stampfte und den weltlichen Verpflichtungen nachging, für ihr Heim und ihren Mann zu sorgen. Édouards größtes Werk. Victorine war unsterblich und für immer schlank, und die arme Suzanne war eine einsame, dickliche, trauernde Fußnote: die holländische Klavierlehrerin, die ihren Schüler geheiratet hatte. Édouard liebte sie, das wusste sie, das spürte sie, doch da war noch etwas anderes gewesen, ein Teil von ihm, den sie nicht gekannt hatte. Und jeden Tag, wenn sie in die Augen dieser Frau sah, wusste Suzanne, dass Victorine diesen kennengelernt hatte.
Es läutete an der Tür, und Suzanne hörte, dass die Dienstmagd jemanden hereinließ.
» Madame Morisot Manet«, verkündete die Magd und führte Berthe aus dem Foyer herein. Berthe trug ein Kleid aus lavendelfarbener Seide, besetzt mit weißer Spitze, dazu einen Hut mit einem durchsichtigen, weißen Schleier aus Chiffon. Berthe war so oft von düsterem Betragen und finsterer Miene, dass Suzanne sie sich nur in schwarzer, spanischer Spitze vorstellen konnte, als trauerte sie ewiglich, doch heute kam sie– Gott segne sie– gekleidet wie eine leuchtende Frühlingsblume.
» Suzanne«, sagte Berthe, strich ihren Schleier zurück und umarmte Édouards Frau, küsste ihre Wangen. Sie trat einen Schritt zurück, hielt Suzannes Hände jedoch fest und drückte sie, als sie sagte: » Wie kann ich dir helfen?«
» Er hat solche Schmerzen«, sagte Suzanne. » Könnte ich ihn doch nur dazu
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