Verflixtes Blau!
standen und den Pont Neuf malten. In meinem Frühlingskleid wirkte ich zwischen den Männern fehl am Platze, gehörte aber dennoch dazu– von den Verkannten anerkannt.«
Sie seufzte und lächelte. » Der gute Pissarro. Jedermanns Lieblingsonkel. Ich weiß noch, wie wir einmal bei einer Ausstellung unserer Bilder in Durand-Ruels Galerie waren und ein Mäzen mich zwischen den männlichen Malern sah und als gourgandine, als Flittchen, beschimpfte. Pissarro schlug dem Mann ins Gesicht, baute sich mit Renoir und den anderen vor ihm auf und wies ihn zurecht, allerdings nicht wegen meiner Ehre als Frau, sondern wegen meines Wertes als große Künstlerin. Der gutherzige Pissarro. So unerbittlich in der Wahrheit. So galant.« Sie hob ihr Glas und trank auf Pissarro.
» Du hast ihn wirklich sehr gern, was?«, fragte Lucien.
» Ich liebe ihn. Ich liebe sie alle. Man muss sie einfach lieben.« Wieder seufzte sie, verdrehte die Augen wie ein verträumter Backfisch. » Künstler…«
» Das findet Renoir auch«, sagte Henri. » Er meint, man muss sie alle lieben.«
» Was glaubst du, von wem er das hat?« Schalkhaft lächelte sie über ihr Glas hinweg, ihre Augen leuchteten vom Cognac. Das gelbe Licht der Gaslampen spiegelte sich darin und umgab ihr dunkles Haar mit einem gespenstischen Heiligenschein. Den Malern fiel es nicht eben leicht, dem Gespräch zu folgen und sich nicht in ihrem Anblick zu verlieren.
» Das hat er von dir?«, sagte Lucien. » Als seine Margot?«
Sie nickte.
» Warte, warte, warte«, sagte Henri. » Wenn Berthe nicht das Bild für den Farbenmann gemalt hat, dann…«
» Manet«, sagte Juliette. » Er betete Berthe an und malte sie– mich– oft. Und davor war ich Victorine für seine Olympia und Das Frühstück im Grünen. Bei ihm ging es nur um Sex. Manet und seine Modelle haben dem Farbenmann reichlich Sacré Bleu eingebracht.«
» Aber soweit ich weiß, sind Berthe Morisot und Victorine Meurent gesund und munter«, sagte Henri. » Du sagtest, alles hätte seinen Preis.«
» Manets Unglück, niemals mit Berthe vereint zu sein, hat sein ganzes Leben überschattet.« Als sie das sagte, wurde sie ganz melancholisch. » Der liebe, gute Édouard hat dafür bezahlt.«
» Manet starb an der Syphilis«, sagte Lucien. » Henri und ich sprachen gerade darüber.«
» Ja«, sagte sie, » oft ist es die Syphilis.«
» Ich verstehe nicht«, sagte Lucien. » Warum Syphilis?«
» Damit ihr Schwanz sie umbringt. Ich bin eine Göttin, Lucien. Wir lieben nichts so sehr wie die Ironie. Das ist im Grunde unsere einzige Orientierung.« Sie leerte ihr Glas und hielt es ihm hin, damit er nachschenkte. » Es dauert lange, aber bis der Wahnsinn einsetzt und die Amputationen folgen, entstehen noch etliche Bilder.«
» Wenn das nicht deprimierend ist«, sagte Henri. » Ich war mir sicher, die Syphilis wäre ein Mythos.«
» Und Vincent?«, sagte Lucien. » Ihn hast du erschossen?«
» Ich erschieße keine Menschen. Das war der Farbenmann. Die reine Verschwendung. Vincents Schmerz hätte der Lohn des Farbenmannes sein sollen.«
» Dann hat er dich als Juliette gemalt?«, fragte Lucien.
» Sie müssen nicht mich malen, damit ich sie inspirieren kann. Sie müssen nur malen.«
Lucien und Henri starrten einander an und fragten sich, wie es möglich war, dass sie hier saßen und bei einem Glas Cognac die Ermordung ihrer Freunde und Helden erörterten, mit einer Göttin. Einer zunehmend betrunkenen Göttin.
» Wir müssen mehr trinken«, sagte Lucien.
» Ein Toast!«, sagte Henri.
» Auf Vincent!«, sagte Lucien und hob sein Glas.
» Und auf Theo!«, sagte Henri und hob das seine.
» Und auf Theos Syphilis!«, sagte Juliette, erhob ihr Glas und verschüttete Branntwein auf Henris Teppich.
Langsam ließ Lucien sein Glas sinken. » Theo auch?«
» Und auf die Syphilis!«, sagte Juliette unbekümmert.
» Theo war nicht mal Maler«, sagte Henri und ruinierte damit ihren absolut einwandfreien Toast.
» Nun, ich musste irgendwas unternehmen.« Zur Bekräftigung lallte sie und verschüttete Cognac. » Der Farbenmann wollte euch alle töten, euch beide, alle. Nicht, dass es den kleinen Pisser überhaupt interessiert hätte. Er wollte euch trotzdem erschießen. Um aufzuräumen, sagte er. Deshalb habe ich den Rest vom Sacré Bleu genommen und bin weggelaufen.«
» Dann bist du frei.«
» Nicht wirklich. Er hat mich nur noch nicht gefunden. Deshalb musste ich mich in der Mine verstecken. Solange ich im Dunkeln bin,
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