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Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Moore
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verehre deine Mutter sehr, mein Schatz. Ich habe Lucien nur darauf vorbereitet, dass er uns neue Quellen für die Füllung unserer Pasteten erschließen soll.«
    » Zum Beispiel seine Großmutter?«
    » Zum Beispiel Ratten«, sagte Père Lessard.
    » Nein…«, sagte Mère Lessard, und ihr Schreck war ausnahmsweise nicht gespielt.
    » Kaninchen sind auch Nagetiere und schmecken ausgezeichnet.«
    » Jetzt willst du mir auch noch Ratten vorsetzen. Mutter hat mich vor dir gewarnt.«
    » Nein, chère, die Ratten sind nur für unsere Kundschaft.« Aber deine Mutter sollte dem Himmel danken, dass sie in Louveciennes lebt, sonst gäbe es demnächst Pastete à la » Fette Fregatte« für alle auf dem Hügel, dachte er.
    Lucien widmete sich seinen Rattenfängerpflichten nicht sofort. Tatsächlich verbrachte er die ersten beiden Tage damit, seine Beute in die dunklen Ecken des Montmartre zu treiben, wobei er umgehend wieder aus denselben Ecken herausgetrieben wurde, von einer Ratte, die dreimal so groß war wie gerade eben noch und– sofern er sich nicht täuschte– mit einem Messer zwischen den Zähnen.
    Madame Jacob, der die crémerie gehörte, fand ihn eines Morgens schmollend hinter dem Moulin de la Galette. Aus reiner Gewohnheit war sie zum Nordhang gelaufen, um ihre Kühe zu holen, doch die hatten längst das Zeitliche gesegnet, und sie hütete nur deren Geister.
    » Heute keine Ratten, Lucien?«
    » Niemand darf wissen, dass ich Ratten fange«, sagte Lucien.
    » Nun, das tust du ja auch nicht, oder?«
    » Die sind riesig! Sie haben versucht, mich zu schänden und zu töten.«
    » Ja, aber Père Lessard muss den Montmartre versorgen, genau wie ich. Ich sag dir was, Lucien: Ich will dir etwas zeigen, das leichter zu fangen ist. Du bringst es mir, und dafür gebe ich dir die drei Fallen, die ich habe, und dazu ein wenig Knoblauch, den dein Vater für seine Ratten- pâté verwenden kann.«
    » Leichter zu fangen?«, fragte Lucien. Er hoffte, Madame Jacob würde nicht wieder von den Großmüttern anfangen, denn nach seinen Erfahrungen mit den Ratten wollte er sich nicht vorstellen, wie die Schändung und Tötung ihn in Form einer zornigen Großmutter heimsuchen mochte.
    » Escargots«, sagte Madame Jacob. » Du findest sie frühmorgens auf dem Friedhof, wenn der Nebel noch auf den Gräbern liegt.«
    » Merde!«, sagte Lucien zum ersten Mal in seinem Leben.
    Am nächsten Morgen, als sein Vater noch die holzigen Brote gehen ließ, um sie später zu backen, lief Lucien bereits die Rue Lepic hinauf, vorbei an den reglosen Mühlenflügeln des Moulin de la Galette und hinunter durchs Maquis mit seinen endlosen Reihen kleiner, baufälliger Häuser, den windschiefen Latrinen, geplünderten Gemüsegärten, hinter Zäunen aus Stöcken und hin und wieder einem morschen Wagen oder einem Haufen Schrott. Für gewöhnlich erwachte das Maquis mit Gebrüll, doch heute war alles seltsam still, nicht einmal eine späte Hure oder ein früher Müllsammler war zu sehen. Kein Hahn krähte, kein Hund bellte, und alle, die arbeiten konnten, waren weg, lagerten bei der Bürgerwehr hinter den Barrikaden. Aus den unzähligen Blechschornsteinen stieg nur noch aus einem teeriger Rauch über den Dächern auf– verbrannte ölige Lumpen, um die Morgenkälte zu vertreiben, das einzige Anzeichen dafür, dass im Maquis noch Leben war.
    Ein Schauer durchfuhr Lucien, und er rannte den Hügel hinab zum Friedhof. Dort, zwischen den Platanen und Kastanien, den von Moos überwucherten Grabmalen und geschwärzten Bronzetüren der Krypten, fand er seine Beute. Auf dem dritten Grab, an dem er vorüberkam, einer ziemlich frischen Basaltplatte, die dem verstorbenen Léon Foucault gehörte, herrschte eine wütende escargot, die Hörner aufgestellt, über ihr steiniges Reich wie ein Drache über seinen Goldschatz.
    » Aha!«, sagte Lucien.
    » Aha!«, antwortete die Schnecke.
    Was der Moment war, in dem Lucien seinen Holzeimer fallen ließ und weglief, armrudernd und schreiend, als hätte er einen Geist gesehen, wovon er einigermaßen überzeugt war.
    » Warte, warte, warte, Junge!«, rief eine Stimme hinter ihm.
    Lucien blickte über seine Schulter, während er weiterschrie, um nicht aus dem Konzept zu kommen. Doch handelte es sich weder um einen Geist noch um eine aggressive, redselige escargot, sondern um einen ziemlich alten Mann, klapprig wie ein Skelett, in einem ockerfarbenen, karierten Anzug, dessen beste Jahre längst vorüber waren. Der alte Mann hatte die

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