Verflixtes Blau!
sie sollen auf mein Kommando Dampf ablassen«, wies der Bahnhofsvorsteher den Schaffner an, der sogleich die Schienen entlanglief. Zu Monet gewandt, sagte der Vorsteher: » Monsieur, dürfte ich vorschlagen, dass vielleicht nur ein Zug zurzeit Dampf ablässt. An einem feuchten Tag wie heute könnte der ganze Bahnhof derart vernebelt sein, dass Sie nicht mehr sehen, was Sie malen.«
» Gut so! Ich brauche einen Sturm aus Dampf. Turners Geist soll sich rühren, angesichts des Sturmes, den ich heute einfangen werde«, sagte Monet. » Geben Sie mir Zeichen, wenn alles bereit ist.« Er nahm seine Palette aus dem Kasten und begann, sie mit Farben aufzufüllen, während Lucien grundierte Leinwände auf die Staffeleien stellte und dann mit hochgezogenen Augenbrauen zum Meister hinübersah, um dessen Zustimmung zu suchen.
Monet stellte sich hinter die einzelnen Leinwände und begutachtete den jeweiligen Blick auf den Bahnhof, dann richtete er die Staffeleien so aus, dass er von jedem Standpunkt nahezu dieselbe Perspektive hatte. Dann nahm er einen breiten, flachen Pinsel, befeuchtete ihn mit Terpentin von der Palette, nahm damit reichlich Bleiweiß auf und tippte lediglich eine Ecke des Pinsels in das Ultramarin des Farbenmannes. Im nächsten Moment überzog er die einzelnen Leinwände mit hellem Blau, wobei er von einer Staffelei zur nächsten und wieder zurück ging.
» Aber Monsieur Monet«, sagte Lucien verwirrt. » Die Züge sind noch nicht bereit. Wie könnt Ihr den Moment einfangen, wenn der Moment noch gar nicht gekommen ist?« Wie sollte er etwas von seinen Meistern lernen, wenn sie ihre Methoden ohne Ansage änderten? Monet färbte seine Leinwände sonst niemals ein, bevor er ein Bild begann, oder zumindest hatte Lucien es bei ihm noch nie gesehen.
» Pass einfach auf, Lucien. Und vergiss nicht zu sabbern, wenn der Bahnhofsvorsteher wiederkommt.«
Monsieur Monet war verrückt, dachte Lucien. Nun, nicht wirklich, aber andere hätten dieses Unterfangen für verrückt erklärt. Lucien war dabei gewesen, als Monet und Renoir in der Bäckerei Kaffee tranken, kurz nach der ersten Ausstellung der Impressionisten, als einer der Kritiker geschrieben hatte: Monsieur Monet scheint die Welt durch einen Nebel zu betrachten.
» Denen werde ich es zeigen«, sagte Monet zu seinem Freund. » Ich werde Nebel malen.«
» Du bist verrückt«, hatte Renoir gesagt.
» Du wirst schon sehen.«
» Glaubst du wirklich, du kannst das?«, fragte Renoir.
» Woher soll ich das wissen?«, sagte Monet. » Es hat ja noch keiner versucht.«
Im Bahnhof türmte sich der Rauch der Dampfmaschinen unter dem Glasdach und trieb in großen Wolken hinaus in den morgendlichen Himmel. Lucien blickte von der Leinwand zur Lokomotive und wieder zur Leinwand. Er hatte gesehen, wie Monet mit wilder, frenetischer Präzision Farbe aufgetragen hatte, schneller als alle anderen Maler, aber Lucien fragte sich, wie er ein flüchtiges Objekt wie den Dampf einer Lokomotive einfangen wollte.
Als der Maler merkte, dass der Bahnhofsvorsteher herübersah, winkte er mit seinem Pinsel und gab das Startzeichen. Daraufhin gab der Bahnhofsvorsteher seinerseits den Schaffnern Zeichen, die wiederum den einzelnen Lokführern Bescheid gaben, und schon ließen drei Lokomotiven, eine in der Halle und zwei davor, mächtige Wolken von Rauch und Dampf aufsteigen. Ihr Pfeifen war in der ganzen Stadt zu hören.
Monet malte. Lucien stand hinter ihm und versuchte zu lernen und sich einzuprägen, wie er die einzelnen Bilder aufbaute, dabei von einem zum nächsten eilte und Blau- und Grün- und Brauntöne auftrug, wobei die dunklen Linien die Maschinen und die Struktur des großen Daches darstellten, das über pastellfarbenen Gebilden aufragte. Wieder schrillten die Dampfpfeifen, und Lucien blickte zur großen Bahnhofsuhr über dem Fahrkartenschalter auf. Eine halbe Stunde war vergangen.
Monet trat von drei fertigen Bildern zurück und suchte die Szenerie noch einmal nach Details ab, die er übersehen haben mochte. » Nehmen wir die Leinwände ab und legen sie in den Kasten, Lucien«, sagte der Maler. » Wir sollten dem Vorsteher seinen Bahnhof zurückgeben.« Er schob die Palette in seinen Farbenkasten und legte die Pinsel in eine flache Blechschale, damit Lucien sie auswaschen konnte, dann wischte er seine Hände ab und stolzierte zum Büro des Bahnhofsvorstehers, um sich bei ihm zu bedanken.
Lucien klappte die Kiste auf, um die neuen Bilder zu verstauen. Darin waren Schienen
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