Verflucht, gehängt und doch lebendig
war.
Vor dem Spiegel blieb er stehen. Er hing in einer guten Höhe an der Wand. Darkman brauchte sich nicht zu bücken, wenn er sich betrachten wollte.
Er starrte sich an, und er war zufrieden. Sein Gesicht war nicht gealtert.
Noch immer sah er auf eine gewisse Art und Weise hager aus, aber zugleich auch fleischig. Die kräftige Nase, die wulstige Oberlippe, der schmale Mund, die hohe Stirn, die grauweißen Haare, so kam sein Bild zusammen. Und die Brille!
Runde Gläser. Ein so dünnes Gestell, daß es kaum zu sehen war und von den Gläsern nicht ablenkte. Dahinter verbargen sich seine Augen, die nur wenige Menschen kannten. Auch wer direkt vor ihm gestanden hätte, es wäre ihm nicht möglich gewesen, einen Blick in diese Augen zu werfen, weil das dunkle Glas einfach zu dicht war. Es ließ kein Licht durch und auch keinen Blick.
Die Brille war wichtig. Keiner sollte in seine Augen schauen können, wenn er es nicht wollte. Daran hatten sich alle gehalten. Im Zuchthaus war er zu einem Mythos geworden – oder seine dunkle Brille. Sogar nach der Hinrichtung hatten sie ihm die Brille nicht abgenommen, und sie war auch nicht von seinem Kopf herabgerutscht, weil sich Bügel um die Ohren schmiegten.
Er lächelte sich an. Seine Haut sah ölig aus wie frisch eingeschmiertes Leder. Die Nasenlöcher zuckten, der Mund verzog sich zu einem schmalen Grinsen. Wenig später faßte er an den rechten Bügel und wollte die Brille langsam abnehmen. Es glich einem Ritual, weil er dabei nichts überstürzte und der Reihe nach vorging.
Hin und wieder mußte er sich seine Augen einfach anschauen, wie jemand, der sich auf etwas Bestimmtes vorbereitet, um Hoffnung zu schöpfen. Die Brille war weg.
Darkman sah seine Augen, und aus seinem offenen Mund drang ein zufrieden klingendes Geräusch. Ein Aufstöhnen. Endlich geschafft. Es war alles noch da. Es ging ihm gut. Er war spitze. Er war in Form. Es war alles einfach wunderbar.
Seine Augen!
Er war stolz auf sie. Keine andere Person hatte solche Augen. Sie waren die Kraftspender, sie waren sein Motor, nur durch sie blieb er so, wie er war.
Er trat näher an den Spiegel heran und kümmerte sich um seine Augen.
Er wollte sie sehr genau sehen. Je näher er sein Gesicht an den Spiegel heranbrachte, um so mehr konnte er erkennen, denn diese Augen waren einfach etwas Wunderbares. Sie konnten nicht beschrieben werden, weil es keine normalen Augen waren. Sie lagen einfach in den Höhlen wie zwei Fremdkörper, die jemand in dieses Gesicht hineingeschoben hatte.
Nach welchen Kriterien dabei vorgegangen war und wer sich letztendlich dafür verantwortlich zeigte, wußte der Mörder selbst nicht. Ihn interessierten nur die Augen im Spiegel, die so schrecklich dunkel waren und jeden anderen Lichtschimmer verloren hatten. Nichts Blaues war darin zu sehen, die Augen schillerten in einer tiefen, beinahe schon unbeschreiblichen Schwärze, wie sie auf dieser Welt nur selten vorkam.
Dann in der Erde, in einer lichtlosen Höhle.
Er rieb seine Hände trocken. Auch den Schweiß auf der hohen Stirn wischte er weg. Wichtig allein waren die Augen, die ihm ein Signal zusandten. Darkman spürte es. Sie bewiesen ihm wieder einmal, welche Macht sie besaßen.
Sie waren nicht alles. Dahinter lauerte noch etwas, das er nicht erfassen konnte.
Eine zeitlose Finsternis. Jahrmillionen der Dunkelheit, die sich allein auf diese beiden Stücke konzentrierten, die für ihn zugleich der Fluchtweg waren.
Darkman lächelte, als er sah, wie sich seine Augen bewegten. Sie klappten nicht zu, auch die Pupillen verkleinerten oder vergrößerten sich nicht, da sie so gut wie nicht vorhanden waren und nur in bestimmten Zeiten erschienen. Aber er sah die Rotation seiner Augen und tief in den beiden Tunnels ein Bild entstehen, das sich noch im Hintergrund hielt.
Männer?
Ja, die beiden.
Er sah sie als Schatten.
Sie saßen in der Küche und überlegten. Sie waren ratlos, aber auch gefährlich.
Wieder verzog er den Mund. Bevor alle anderen starben, mußte er sie ausschalten, aber er würde es auf seine Art und Weise tun. Sie sollten zu ihm kommen, nach Dartmoor, in dieses alte Zuchthaus.
Genau hier würde er mit ihnen abrechnen…
***
Marga Tremaine war eine Frau um die Fünfzig mit grauen Haaren, die sie nach hinten gekämmt und im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden hatte. Sie hatte ein pausbäckiges Gesicht und einen kleinen, herzförmigen Mund, den sie jetzt zusammenzog, als sie auf meinen Ausweis schaute und ihn
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