Verflucht himmlisch
höchstwahrscheinlich nicht lange überleben.«
»Ihr macht Musik, wenn ihr euch unterhalten wollt?«
»Ja, so ähnlich. Übrigens hören auch Ratten unsere Frequenzen. Deshalb der Spruch: Die Ratten verlassen das sinkende Schiff. Noch nie drüber nachgedacht, warum das so ist? Ihr denkt, Ratten sind besonders intelligent. Dabei sind wir die Intelligenten! Nur die Menschen sind zu blöd und wollen unbedingt auf dem sinkenden Schiff bleiben, obwohl wir ihnen auf dem Wasser mehr schlecht als recht helfen können. Tstststs …«
Ich schwieg ermattet und versuchte zu verstehen, was Leander mir erzählt hatte. Wenn es stimmte, was er sagte, war er heute ein hohes Risiko eingegangen, um mich zur Schule zu begleiten. Er hatte nicht wissen können, dass die anderen seinen Körper nicht wahrnehmen würden. Und was wäre passiert, wenn sie ihn hätten sehen können? Ich wollte es mir nicht ausmalen. Trotzdem – er hatte es wahrscheinlich nur für sich selbst getan und nicht meinetwegen. Er wollte seinen Fehler gutmachen, damit die Truppe ihn wieder aufnahm, und hatte dafür den Helden gespielt. Ja, er benahm sich wie ein waschechter Streber. Ätzend.
»Und jetzt!«, rief Leander und stellte sich auf den Tisch. »Der Song! Ich will den Song!«
»Hä? Was für einen Song?«
»Der Song, den Serdan den ganzen Tag rauf und runter gehört hat.« Oh Gott. Serdan und seine Musik. Das war doch nur Krach. Schneller Krach.
»Alors en danse!« Leander breitete die Arme aus.
»Was?«
»So heißt der Song, Luzie, jedenfalls heißt der Refrain so, das ist französisch – na, Französisch ist ja nicht gerade deine Stärke. Besorg ihn mir, den Song. Bitte!«
Er deutete fordernd auf meinen Laptop.
»Lässt du mich als Gegenleistung heute Abend in Frieden?«
»Mal sehen«, sagte Leander wegwerfend. »Aber jetzt mach schon. Das war so ein langweiliger, anstrengender Tag und ich will diesen Song hören!«
Damit hatte er ausnahmsweise recht. Der Tag war nicht nur langweilig und anstrengend, sondern auch enttäuschend gewesen. Etwas Ablenkung konnte ich gebrauchen. Seufzend klappte ich meinen Laptop auf und öffnete die Startseite von YouTube. Leander beugte sich über meine Schulter, um mir den Titel zu diktieren. Er müffelte ein wenig unter den Armen. Es verwunderte mich nicht, denn seit ich ihn kannte und ihm sein Körper gewachsen war, hatte er nicht einen Tropfen Wasser an seine Haut gelassen. Doch dafür war das Müffeln zu ertragen. Lange nicht so schlimm wie Billy im Sommer nach dem Training. Billy stank wie ein Iltis.
YouTube fand den Song sofort. Und mein Laptop war an die Boxen angeschlossen. Leander schnappte sich über meinen Kopf hinweg die Maus und drehte die Lautstärke hoch.
»Lernen durch beobachten«, kommentierte er seine Aktion mit einem Beifall heischenden Lächeln. »Und das gilt auch hierfür … Guck her, mal sehen, ob es klappt – na komm, mach mit! Alors en danse!«
Ich blieb mit offenem Mund neben dem Laptop sitzen und konnte nicht fassen, was ich da sah. Leander machte einen Breakdance-Move, und zwar astrein. Nein, es waren zwei, drei, jetzt kam der vierte – nicht die schwierigsten, aber ich hatte Wochen gebraucht, um sie zu lernen, und selbst dann hatten die Jungs noch über mich gespottet, obwohl ich genau wusste, dass es nicht schlecht aussah. Doch das, was Leander präsentierte, war wesentlich cooler als die Styles der Jungs. Wie hatte er sich das nur so schnell beibringen können?
»Los, Luzie, beweg deinen Hintern!«, forderte er mich auf. Die Musik war nicht das, was ich gerne hörte. Ich mochte es härter und mit mehr Gitarre und Schlagzeug und nicht so elektronisch, aber als ich Leander beim Tanzen zusah, kroch der Beat unter meine Haut und riss mich mit. Leanders gute Laune war ansteckend. Ja, ich wollte mich bewegen, ich hatte mich so lange nicht mehr richtig bewegt. Und was er konnte, konnte ich auch. Das Problem war nur, dass er fast den gesamten Platz in Anspruch nahm.
Notgedrungen sprang ich aufs Bett und drehte mich hüpfend im Kreis. Leander fing an, den Text mitzusingen. Wieso konnte er fließend Französisch?
Ach, egal. Lachend hopsten wir durchs Zimmer, rempelten uns gegenseitig an, sprangen aufs Bett und auf den Schreibtisch und wieder herunter …
»Luzie!!!«
Ich befand mich gerade auf dem Bett und versuchte, trotz des kaputten Lattenrosts einen Salto zu drehen, doch Mama erschreckte mich so sehr, dass ich auf halber Strecke vergaß, was ich tun wollte. Ich kippte zur
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