Verflucht himmlisch
zu meinen Eltern in die Küche, setzte mich an meinen Platz und aß ganz normal mit ihnen zu Abend.
Mea maxima culpa
Leander fiel so gierig über seine Lasagne her, dass er sich bei seinen ersten Bissen verschluckte und den Mund verbrannte. Doch obwohl sie ihm zu schmecken schien, aß er sie nicht auf. Jetzt hatte ich extra Essen in mein Zimmer geschmuggelt und meine Eltern stutzig gemacht, indem ich ungewohnt früh vom Tisch aufgestanden war, und er ließ die Hälfte liegen. Ja, Mama hatte mich vor meinem Verschwinden viel zu lange angesehen, dann den Kopf geschüttelt und ein gekränktes »Wenn es denn unbedingt sein muss, bitte, vielleicht essen wir in Zukunft alle in unseren Zimmern und schreiben uns Zettelchen, wenn wir uns etwas zu sagen haben.« hinterhergeschickt. Auch Papa hatte mich verwundert gemustert. Sie kannten das nicht von mir. Es war unsere heilige Tradition, abends zusammen in der Küche zu sitzen und zu reden – mindestens eine halbe Stunde, manchmal auch länger. Schließlich sahen wir uns fast den ganzen Tag nicht.
Doch die Stimmung war schon das gesamte Abendessen über angespannt gewesen. Ich vermutete, dass es etwas mit dem neuen Material zu tun hatte, das heute eingetroffen war. Mama wollte helfen, aber Papa wollte nicht, dass sie half. Sie sollte lieber seine Büroarbeit machen. Und immer wenn er sie in die Geschäftsräume im Erdgeschoss verwies, tat Mama, als hätte er sie bis an ihr Lebensende bei Wasser und Brot in Ketten gelegt. Sie sei emanzipiert, sagte sie dann mit zusammengekniffenen Augen, und sie lasse es sich nicht nehmen, ihm bei der echten, wichtigen Arbeit unter die Arme zu greifen. Wenn Papa aber wagte, Mama darauf hinzuweisen, dass sie gar keine offizielle Ausbildung für all diese Kellertätigkeiten habe und genau genommen nicht »befugt« war, Tote zu schminken, war der Teufel los.
Auch jetzt hörte ich, wie die Stimmen in der Küche immer lauter wurden.
Leander schob den Teller weg, lauschte kurz und fing dann damit an, prüfend unter seinen Achselhöhlen zu schnuppern. Links, rechts, links, rechts. Und noch einmal links.
»Puh. Ich würde das gerne ändern. Ich mag mich so nicht«, stellte er fest, nachdem er seine Achselschnüffelei beendet hatte. Er verzog seinen Mund, als würde es wehtun zu müffeln, und setzte seine typische Leidensmiene auf.
»Na, immerhin hast du es selbst bemerkt. Du müffelst schon eine ganze Weile.«
»Ja, und jetzt?«, fragte er und sah mich erwartungsvoll an.
»Wie jetzt – geh dich waschen!«
»Aha.«
»Sag bloß, du weißt nicht, dass Menschen sich waschen, wenn sie stinken …«
»Natürlich weiß ich das. Theoretisch. Aber praktisch, mit einem echten Körper – ist das alles irgendwie anders. Und Badezimmer sind für mich tabu. Wie für viele meiner Kollegen übrigens. Ein umstrittenes Thema, vielleicht würde Elvis Presley noch leben und wäre nicht in den Flusen seines Klovorlegers erstickt, wenn wir unsere Klienten in ihre Badezimmer begleiten würden, etliche andere Stars würden wahrscheinlich ebenfalls noch leben, aber – ab einem gewissen Alter habe ich mich aus deinem Badezimmer ferngehalten. Ich bin der Meinung, man muss sich nicht alles ansehen.«
Gut. Diese Meinung teilte ich voll und ganz. Ich hatte schon die gesamten letzten Tage mit aller Macht die Vorstellung verdrängt, dass Leander stets neben oder über mir geschwebt hatte, wenn ich auf dem Klo saß oder mich duschte. Aber nun wusste ich ja, dass das nicht der Fall gewesen war. Und dieses Wissen erleichterte mich enorm. Außerdem erklärte es, warum er sich bei seinem ersten menschlichen Toilettengang so dämlich angestellt hatte.
Aber wie lösten wir das Problem mit dem Duschen? Alleine konnte ich ihn keinesfalls ins Bad lassen, solange meine Eltern in der Nähe waren. Wer weiß, was er dort alles anstellte …
Mamas Turnhallenstimme dröhnte durch den Flur. Der Wortwechsel meiner Eltern war zu einem handfesten Streit eskaliert. Leander spitzte die Ohren.
»Es ist nur so«, gellte Mama, »da unten liegen drei Leichen, die dringend hergerichtet werden müssen, oder nicht?«
»Das ist korrekt«, antwortete Papa gestelzt. »Doch ich möchte dich bitten, sie Kunden zu nennen und nicht – Leichen. Das klingt abwertend.«
»Gut. Kunden. Und ich biete dir an, sie hübsch zu machen, ja, ich fange sogar schon damit an, aber was ist? Dem Herrn passt es nicht. Es ist nicht genehm.«
»Meine liebste Rosa, bei der Dame, die du hergerichtet hast, handelt es
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