Verflucht seist du: Kommissar Dühnforts fünfter Fall (German Edition)
nicht selbst war?«
»Nein. Das nicht. Es besteht kein Zweifel daran, dass er sich selbst getötet hat.« In diesem Raum war es heiß und stickig. Dühnfort hätte am liebsten ein Fenster geöffnet, und versuchte durchzuatmen. »Er hat den Jungen erschossen, den er für Sascha hielt, und konnte damit offenbar nicht leben. Jedenfalls steht das so in seinem Geständnis.«
Die Brauen wuchsen zu einer sich kräuselnden Hügellandschaft zusammen. »Wie meinen Sie das: den er für Sascha hielt ?«
Dühnfort erklärte ihm diesen fatalen Irrtum und fragte, ob Pätzold eine Idee hatte, wie Stefan Schäfer darauf gekommen sein könnte.
Doch Pätzold hatte keine Vermutung. Mit ihm hatte Stefan nicht darüber gesprochen, und Dühnfort glaubte ihm das.
»Stefan war mein Freund, und er war loyal. Falls er tatsächlich einen Mord geplant hatte, hätte er mich da nicht mit hineingezogen.« Kaum merklich schüttelte Pätzold den Kopf. »Er war ein analytischer Mensch, ein Zahlenmensch, der Fakten vertraute. Wenn er Daniel wirklich erschossen hat, muss er absolut überzeugt gewesen sein, er sei Sascha. Aber ich kann das nicht glauben. Es passt einfach nicht zu ihm. Stefan war kein Rächer, keiner, der von Hass getrieben war und das Recht selbst in die Hand genommen hätte. Er war ein Dulder, ein Hinnehmer. Er gehörte nicht zu denen, die sich wehren. Schon damals in der Schule nicht. Darunter hat er gelitten.« Die Stirn glättete sich. »Also, den Mord glaube ich ihm nicht. Den Selbstmord, ja, den schon. Den habe ich anfangs befürchtet, nach Isas Tod. Stefan fühlte sich schuldig. Er machte sich Vorwürfe, dass er Sascha nicht auf den Zahn gefühlt hat, dass er Isa in ihr Verderben laufen ließ. Dass er sich aus Trauer und aus Scham umbringen würde, das war meine Sorge. Er hat versagt, hat seine Familie und vor allem seine Tochter nicht beschützt. So sah er das. Und damit hat er sich gequält.«
In Dühnfort wuchs die Unruhe. Eine letzte Frage hatte er noch, die nach Ecstasy, ob Schäfer gewusst hatte, wie er daran kommen würde.
»Stefan?« Ungläubig blickte Pätzold ihn an. »Nein. Ganz sicher nicht. Der hat in seinem Leben keinen Zug von einem Joint genommen, geschweige denn jemals eine Tüte gebaut. Kontakte in die Szene hatte er garantiert nicht. Allerdings kann man heute alles googeln. Wenn er unbedingt an Ecstasy kommen wollte, hätte er herausgefunden, wie er das anstellen muss.«
86
Mit lautem Quietschen kam die einfahrende U-Bahn zum Stillstand. Sie war restlos überfüllt. Unschlüssig stand sie vor den sich öffnenden Türen. Besser, sie nahm sich ein Taxi.
Menschenmassen drängten heraus und hinein. Während sie noch zögerte, wurde ihr Körper einfach mitgerissen, in den Wagon gespült, von einer dampfenden Welle erhitzter Leiber. Nackte Haut streifte ihre. Glatte Ellenbogen, behaarte Arme, rissige, schrundige Hände. Spinnen, krabbelnde Insekten, spröde Panzer, knisternde Hüllen. Sie unterdrückte den Impuls zu schreien, während sich die Masse verdichtete, komprimierte, jede Spalte, jede Lücke sich füllte, sie zusammengepresst wurde, bis sie meinte, nicht mehr atmen zu können.
Eine Station. Es war nur eine Station, die sie bewältigen musste. Vom Max-Weber-Platz zum Ostbahnhof. Eine Minute. Oder zwei.
Jede Pore ihrer Haut war elektrisch geladen, kribbelte, summte. Eine Melodie von Liebe und Tod. Unter den Achseln und zwischen ihren Brüsten sammelte sich Schweiß, rann in Rinnsalen an ihrer elektrischen Umhüllung hinab. Es würde einen Kurzschluss geben, sie würde implodieren, ein Leuchten, das eine Mikrosekunde währte, und dann würde sie zu Staub zerfallen. Ein beruhigender Gedanke, den sie auskosten wollte.
Eine Tasche rammte sich in ihren Rücken. Schrille Stimmen überall. Zusammenhanglose Worte, unverständliche Laute, sinnlose Fragmente, wiederauferstandene tote Sprachen. Die Türen schlossen sich. Sie bekam keine Luft. Knoblauchdunst stieg ihr in die Nase, Schweiß und der Geruch von Menstruationsblut. Dick und zäh gerann es in einer Monatsbinde, wurde zu einer braunen, übelriechenden Substanz, vermischte sich mit weißen Sekreten, die sich zwischen rosa Schamlippen zersetzten. Doch da war noch etwas. Sie witterte es. Sperma, das einer hinterlassen hatte, der keine Grenze kannte, sich selbst der Nächste war. Oder ihr? Oder der Einheit, zu der er mit ihr verschmolz? Wer wusste das schon? Es gab so viele Arten und Spielweisen der Liebe wie Sterne am Nachthimmel, wie Sandkörner am
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