Verflucht seist du: Kommissar Dühnforts fünfter Fall (German Edition)
Aber wir sind jetzt allein und total ratlos.
Ein Arm legte sich um ihre Schulter. Lukas. »Lass es gut sein. Es gibt keine Antworten. Wir dürfen nicht wütend auf sie sein.« Der Refrain des Songs verhallte. Ohne dich ist alles dunkler. Ohne dich fehlt allem der Glanz. Ohne dich müssen wir nun leben. Es war dein Wunsch, den wir dir nicht vergeben. Vielleicht irgendwann.
Vielleicht irgendwann. Tief in sich spürte Mika, dass dieser Tag kommen würde, doch er schien unendlich weit entfernt. Sie musste Geduld haben. Irgendwann würde sie loslassen können und ihr das verzeihen. Lukas hatte recht. Die Suche nach Antworten war sinnlos. Er war klug, und manchmal erschien er ihr weise. Sie sah zu ihm auf, doch er blickte aufs Grab, und dieser Blick, der nur eine Sekunde währte, ging ihr durch und durch. Es lag so viel Leid darin und so viel Liebe. Und plötzlich verstand sie, was sie eigentlich immer hätte sehen können. Lukas hatte Isa geliebt. Nicht nur als Zwölfjähriger, sondern immer, die ganze Zeit. All die Jahre. Doch Isa hatte ihn nur als guten Kumpel wahrgenommen. Weshalb hatte er nie einen Vorstoß gewagt … Obwohl, doch, das hatte er. Auf seltsam flapsige Art, getarnt als nicht ernstgemeint. Isa hatte ihn jedes Mal auf dieselbe Weise abblitzen lassen, als ob das Ganze nur ein Scherz zwischen ihnen wäre. Und dann war Sascha aufgetaucht. Armer Lukas. Das musste weh getan haben.
Sie setzte sich neben ihn ins Gras. »Ich habe Isas Facebook-Account gehackt«, begann sie ganz unvermittelt. »Sascha muss Isa gekannt haben. Und er muss sie gehasst haben. Das Ganze war von Anfang an geplant.«
»Geplant?«, fragte er ungläubig. »Wie kommst du darauf?«
Mika erzählte, wie Sascha Isa dazu gebracht hatte, sich als dick zu outen, indem er Beth Ditto als sexiest woman alive bezeichnet hatte. Und dann hatte er sie genau deswegen seiner Fangemeinde zum Fraß vorgeworfen – eben weil sie mehr als nur pummelig war.
Isa war so glücklich gewesen, als Beth in den Medien gefeiert wurde und so Isas Leben umzukrempeln schien. Aufgeregt hatte sie mit dem Modemagazin Love herumgewedelt, dessen Titelseite Beth zierte. Splitterfasernackt. Icon of our generation. »The times they are a-changing!«, hatte Isa lauthals gesungen. Doch Mam hatte diesem spontanen Freudenausbruch einen Dämpfer versetzt. Angewidert hatte sie den Mund verzogen. »Bei aller Toleranz, was zu viel ist, ist zu viel. Ästhetisch ist das nicht und gesund sowieso nicht. Wenn derartige Aufnahmen schon veröffentlicht werden, dann sollte man die Blutfettwerte und den Blutdruck mit dazuschreiben, als warnendes Beispiel.«
»Hallo, Mam, geht es noch?«, hatte Mika sie angefaucht. »Du betreibst gerade Fettnapftieftauchen. Schon bemerkt?«
Mam hatte sich entschuldigt. Es war ihr peinlich gewesen und so typisch für sie! Feingefühl und Takt gehörten wirklich nicht zu ihren sozialen Kompetenzen. Und doch hatte sie es nicht lassen können, wieder auf Isa herumzuhacken, nachdem sie gegangen war. Sie fand, Isa sei zu undiszipliniert und kein Vorbild für Mika. »Sie wird es zu nichts bringen. Anstatt ewig Party zu machen, sollte sie lernen. Ich habe Angst, dass sie dich auf ihr Niveau herabzieht.« An diesem Punkt hatte Mika den Raum verlassen. Ihre Mam war grenzenlos snobistisch, und der Spruch vom Niveau war der unausgesprochenen Angst geschuldet, dass Isa, die ganz gern mal ein Glas Wein oder Sekt zu viel trank und auch schon mal einen Joint geraucht hatte, was Mam Gott sei Dank nicht wusste und auch nie erfahren durfte, wenn man also ihre Angst in Worte fasste, hatte sie Sorge, Isa könnte Mika verführen, zur Flasche zu greifen und Drogen zu nehmen. Absolut lächerlich und außerdem total verletzend. Mam vertraute ihr nicht.
»Du glaubst, Sascha hat ein abgekartetes Spiel mit Isa getrieben?« Mit dieser Frage holte Lukas Mika wieder in die Gegenwart.
Sie umfasste die Knie mit den Armen. »Er wusste, welche Fernsehserien sie mochte und welche Musik sie hörte. Damit hat er sie bei Facebook geködert. Er muss sie einfach gekannt haben und gehasst. Nur so macht diese ganze miese Aktion aus seiner perversen Sicht überhaupt Sinn. Er hat sie ganz bewusst angebaggert, mit dem einzigen Ziel, sie lächerlich zu machen. Ich glaube, dass er älter ist, als er sagt. Manchmal schreibt er ziemlich gestelzt. Ich glaube, dass er mindestens dreißig ist, wenn nicht sogar noch älter.«
»Okay.« Es klang gedehnt. Lukas, der im Gras gelegen hatte, setzte sich auf.
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