Verflucht seist du: Kommissar Dühnforts fünfter Fall (German Edition)
uns viel erspart geblieben. Sie hatte ja keine Ahnung gehabt, mit welchen Schuldgefühlen Stefan sich schlug.
Marlis hatte lediglich mitbekommen, dass Isa verliebt war. In Sascha. Wer er war und wie Isa ihn kennengelernt hatte, hatte sie erst nach ihrem Tod erfahren. Da Isa bester Laune war und sogar mit einer Diät begonnen hatte, hatte Marlis nicht weiter nachgebohrt. Sascha tat Isa offenbar gut. Allerdings litt die Schule darunter. Deswegen hatte es Streit gegeben.
Ihrer Mutter hatte Isa die Einzelheiten verschwiegen. Nicht aber Stefan. Ihm hatte sie von Sascha vorgeschwärmt. Wie toll er war, wie verständnisvoll und lustig, wie einfühlsam und klug. Sie sprach von ihrer Verliebtheit, aber auch von ihrer Angst, enttäuscht zu werden, von der Sorge, dass er es nicht ernst meinte und ihre Figur ihn doch abschrecken würde. Sie war so voller Hoffnung gewesen und gleichzeitig so voller Zweifel, und so verliebt wie noch nie. Stefan hatte es beängstigend gefunden, wie Isa und Sascha sich kennengelernt hatten. Eigentlich wusste sie nichts über ihn, nichts, was nachprüfbar war, belegbar. Typisch Controller, hatte Isa gesagt und gelacht. Man muss auch vertrauen können, Paps. Wenn schon nicht anderen, dann seiner inneren Stimme. Und genau auf die hatte Stefan nicht gehört. Was Isa von Sascha erzählte, hatte Zweifel geweckt und Fragen aufgeworfen. Wer war der Kerl, der sich im Netz verbarg und möglicherweise mit den Gefühlen seiner Tochter spielte oder gar Schlimmeres plante? Doch dann war Stefan am nächsten Morgen ins Büro gefahren. Die Arbeit war wichtiger. Was hätte er auch tun können? Isa ging es gut. Sie war so voller Energie und Freude. Und dann hatte er, in dieser von Unglück durchtränkten Nacht, die Tür zum Bad eingetreten und Isa gefunden, in einer Badewanne voller Blut. Seither quälte er sich mit Schuldgefühlen.
»Ich hätte Isa warnen müssen. Man trifft sich nicht mit einem Wildfremden. Ich hätte es ihr verbieten müssen oder wenigstens versuchen herauszufinden, wer dieser Sascha ist, wie er drauf ist, was er von Isa will. Und was habe ich getan? Nichts. Nichts. Nichts. Ich habe sie in ihr Verderben laufen lassen. Ich bin schuld. Das habe ich lange nicht erkennen wollen. Deshalb habe ich alles auf dich geschoben. Es tut mir so leid. Verzeih mir, bitte!« Er hatte jede ihrer Fingerkuppen geküsst. Wie hätte sie ihm nicht verzeihen können? Sie liebte ihn. Über alles. Das war der Moment, den sie seit Monaten herbeigesehnt hatte. Auch wenn er sie zutiefst verletzt und gequält hatte, hatte sie immer gewusst, dass er es nicht so meinte. Es war einfacher gewesen, ihr die Verantwortung zuzuschieben, als sich den eigenen Anteil daran einzugestehen. Doch weder er noch sie waren verantwortlich. Sascha alleine war es. Das wusste er ebenso gut wie sie.
Dühnforts Angebot, mit Hilfe des Staatsanwalts den Herausgabebeschluss von Saschas Facebook-Daten zu erwirken, berührten sie in jener Nacht mit keinem Wort. Erst beim Frühstück hatte Stefan es angesprochen. Zögernd war der Entschluss gefallen. Etwas in ihm schien sich zu sträuben, und sie konnte nur ahnen, was ihn daran hindern wollte, die Chance zu nutzen, Sascha zu enttarnen: die Banalität der Wahrheit. Die Angst, einem pickeligen Bürschchen gegenüberzustehen, das stotternd und sabbernd um Entschuldigung bat und tausendmal schwor, das nicht gewollt zu haben. Kein ebenbürtiger Feind. Kein Gegner auf Augenhöhe, dem man mit Verachtung und Hass gegenübertreten konnte.
Mitleid war das Letzte, das er für Sascha empfinden wollte. Mitleid mit dem Kerl, der Isa in den Tod getrieben hatte, bei dieser Vorstellung wurde ihm sicher übel. Doch dann hatte Stefan überraschend vorgeschlagen, den Staatsanwalt noch am selben Tag aufzusuchen. Marlis wusste, er tat es einzig und allein für sie.
Sein Finger verließ ihre Lippen. Er stippte ihr lächelnd auf die Nase. »Es klingt verlockend. Die Provence bei Dauerregen und Temperaturen um die zwanzig Grad.«
»Wirklich?« Sie hatte seit Tagen die Nachrichten und den Wetterbericht zwar gesehen, aber nicht zugehört.
»Der kühlste Sommer seit zwanzig Jahren. Nächste Woche soll das Wetter besser werden. Lass uns noch solange warten. Bis dahin bin ich auch mit dem Aushub fertig.«
»Ja. Gut.« Es klang vernünftig.
Doch sie wollte hier nicht bleiben. Sie wollte weg. Nicht für zwei Wochen nach Südfrankreich, wie sie erstaunt feststellte. Für immer. In diesem Haus würden sie nicht mehr glücklich
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