Verflucht seist du: Kommissar Dühnforts fünfter Fall (German Edition)
unterbrochen wurden. Hast du einen Namen für mich?«
Christian nickte. »Bram. Er produziert die Weißen Mitsubishi.«
»Wo finde ich ihn?«
»Am besten sprechen Sie in der Kultfabrik Anike an. Sie arbeitet für ihn. In der Unberechenbar hinter der Theke.«
59
Marlis lag auf dem Sofa. An ihrem Fuß leuchtete weiß der Verband, die Erinnerung an die Nacht des Scherbenregens trieb ihr die Röte ins Gesicht. Sie hatte die Kontrolle verloren und war völlig ausgerastet, und doch fühlte sie sich wie befreit. Die Röte rührte nicht von ihrem Kontrollverlust … oder in gewisser Weise doch. Seit über zwanzig Jahren war sie nun mit Stefan verheiratet, und der Sex war immer okay gewesen. Nicht überwältigend, nicht berauschend, eher bieder und brav, aber in Ordnung. In den letzten Jahren allerdings immer seltener. Seit Isas Tod gar nicht mehr. Natürlich immer im Schlafzimmer, früher gelegentlich auch unter der Dusche und wohl auch mal auf dem Teppich. Der verwegenste Ort, an dem sie es je getrieben hatten, war tatsächlich eine Lichtung im Wald gewesen. Ein Spaziergang nach einem guten Essen mit zu viel Wein. Ein warmer Sommerabend, der in Dämmerung und Dunkelheit überging, der Nachtschatten einer Buche, der ferne Ruf eines namenlosen Vogels, ein Kuss, an dem sich die Begierde entzündete, ein Bett aus Gräsern, die Nacht umhüllte ihre Körper wie ein kühles Laken. Die Erinnerung daran kam von weit her, ein fernes Echo, ein vager Nachhall. Noch vor Isas Geburt war das gewesen.
Danach hatten sie sich natürlich ins Schlafzimmer zurückgezogen, die Tür versperrt. Was, wenn das Kind schlaftrunken hereintappte? Statt duftendem Waldboden Taschenfederkernmatratzen, anstelle verrottenden Laubs und sich im Wind wiegenden Gräsern stramme Laken und weichgespülte Bettwäsche, statt lustvoller Schreie unterdrücktes Stöhnen. Nur das Kind nicht wecken und verschrecken.
Und nun war ihr Kind tot, und sie hatten sich in ihrer Verzweiflung darüber gefunden. Zwischen Scherben, Wein und Blut, auf dem Küchenboden. Zunächst dort. Dann auf dem Tisch, auf der Treppe, unter der Dusche und schließlich im Bett. Sie hatten sich die Nägel ins Fleisch geschlagen und die Zähne, hatten sich über Wut und Verzweiflung, über Qual und Not der Trauer genähert und schließlich der Hoffnung. Der Hoffnung, einander nicht zu verlieren. Als die Sonne ihre ersten Strahlen rot durch das Fenster sandte, waren sie eingeschlafen. Befriedet. Ein Endpunkt war gesetzt. Nun mussten sie sehen, wie es weiterging, ob daraus ein Neuanfang wurde.
Von draußen erklang das Brummen des Motors und das Quietschen von Metall auf Stein. Der Container wurde ein Stück versetzt, damit der Mini-Bagger, den Stefan nun doch gemietet hatte, in den Garten gebracht werden konnte.
Marlis stand auf. Ein pochender Schmerz in der Ferse. Sie humpelte zur Haustür und sah hinaus. Der Container stand am neuen Platz, der Bagger daneben. Der Lastwagen fuhr mit leerer Ladefläche und Dieselschwaden ausstoßend davon.
Stefan kam auf sie zu. Ein Pflaster am Kinn, dort, wo ihn die Pfeffermühle getroffen hatte. Die Wunde in der Augenbraue fiel nicht allzu sehr auf. Sie war dunkel verkrustet. Er nahm Marlis in den Arm, gab ihr einen Kuss auf die Schläfe. Scheinbar aus dem Nichts stieg der Wunsch in ihr auf, alles liegen- und stehenzulassen. Einfach abzutauchen, davonzulaufen. Sich vor der Welt zu verstecken, sich mit ihm zu verkriechen. Mit Stefan, ihrem Mann. Der Liebe ihres Lebens. Die Miete für das Ferienhaus war bezahlt. Es stand leer, wartete. Doch der Wunsch kam nicht aus dem Nichts. Er hatte seit Tagen in ihr geschlummert und war nun erwacht. Einfach alles vergessen. Neu beginnen. An einem unbeschwerten Ort ohne Erinnerungen, ohne Vergangenheit. Wie neugeboren. Unbelastet. Frei. »Vielleicht sollten wir doch in die Provence fahren.«
»Jetzt, wo ich gerade den Bagger geliehen habe?«
»Warum nicht? Komm, wir packen ein paar Sachen ein, setzen uns ins Auto und fahren los. Morgen um diese Zeit sitzen wir in Le Lavandou bei einem Café au lait in Jacques Bar und sehen aufs Meer.«
Er strich mit dem Zeigefinger die Form ihrer Lippen nach. Eine Berührung, die sie erschauern ließ. Wie ernst er sie ansah, wie nachdenklich. Was ging hinter dieser Stirn vor sich? Warum sprach er so selten darüber, welche Gedanken er wälzte, was ihn bewegte und quälte?
Das Gespräch der vergangenen Nacht … Wir hätten es schon vor Monaten führen sollen, dachte Marlis, dann wäre
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