Verflucht seist du: Kommissar Dühnforts fünfter Fall (German Edition)
nicht. Hat der vielleicht die Scheppach geklaut?«
»Das wäre möglich.« Er erklärte ihr, wie sie ihr Eigentum zurückerhalten konnte, und beendete das Gespräch. Die Luft in der Hütte war stickig. Im Sonnenlicht, das durch das Fenster fiel, tanzte der Staub.
Dettmann klaute also auf Baustellen.
62
Mika ging die Treppe hinunter. Es wurde kühl und dämmrig. Ein schwach modriger Geruch lag in der Luft, wie in einer Gruft. Der lange schwarze Mantel, den Lukas auch an diesem heißen Tag trug wie ein Markenzeichen, berührte ihre nackte Wade. Sie erschauerte und war gleichzeitig gespannt, was sie dort unten erwartete. Klang und Stille. So nannte sich die Ausstellung im Haus der Kunst, die er ihr unbedingt zeigen wollte.
Sie erreichten einen schmalen Flur, der im Halbdunkel lag. Rechts und links gingen Kabinen ab. Geflieste kleine Räume, in jedem eine Videoinstallation. Er ließ ihr keine Zeit, einen Blick in die ersten zu werfen, nahm ihre Hand und zog sie weiter. Lautlos. Schweigend. Bis sie in einem der winzigen Zimmer vor einem Monitor standen. Das Video lief. Wind strich durch Gräser, wiegte sie sacht. Lange, biegsame Halme krümmten sich über groben unbehauenen Findlingen. Rote Blüten schwangen im Takt des Windes. Ein nahezu lautloses beruhigendes Säuseln, Wispern, Flüstern, ein Raunen, Hauchen, Murmeln und Tuscheln des Windes in den Halmen und Rispen. Mika wagte kaum zu atmen. Sie wollte diese traurigschöne Windmelodie auskosten. Unendlich leise setzte Musik ein, eine melancholische Ballade. The Wind that shakes the Barley. Die Zeit schien stillzustehen. Für einen Augenblick fühlte Mika Freude in sich und Frieden. Tief wie nie. Es war wie ein Abschied.
Als das Video wieder von vorne begann, hatte es seinen überraschenden Zauber bereits zu einem guten Teil eingebüßt. Das Unerwartete fehlte. Sie hatte genug, wollte die anderen Videos nicht sehen. Das eine genügte. Es hatte alles.
»Lass uns gehen«, flüsterte Lukas. Sie nickte nur und folgte ihm nach draußen. Als sie das Haus der Kunst verließen, schlug ihnen Hitze entgegen. Sie umrundeten den monumentalen Bau und suchten sich im Englischen Garten einen Platz unter einer Trauerweide.
Lukas lehnte seinen Kopf an den Stamm und schloss die Augen. »Hast du den Wind in den Gräsern gehört?«
Mika nickte, obwohl er das nicht sehen konnte.
»Da war nur Stille. Deine Ohren hatten nichts zu tun. Die Gräsermelodie war nur in deinem Kopf. Jeder hört seine eigene. Je nachdem, was er sich erwartet, erhofft, was er sich vorstellen kann.«
»Du meinst, das Video ist ohne Ton?«, fragte Mika überrascht.
Lukas nickte.
»Aber der Song, den habe ich mir nicht eingebildet. Der ist echt.«
»Der Song schon. Das gehört zum Konzept. Die Steine sind übrigens Grabsteine. Das ist ein Friedhof für ungetauft gestorbene Kinder.«
Ein Friedhof. Kein Wunder, dass das Video Lukas faszinierte. Doch es hatte auch etwas Magisches. Dieses Gefühl von Frieden und Freude, das noch in ihr nachklang, erschien ihr wie von einer geheimen Kraft beschworen.
»Alles, was wir wahrnehmen, ist subjektiv. Ergo gibt es keine objektiven Wahrheiten. Es gibt nur unsere eigenen.«
Wie meinte Lukas das? »Was willst du damit sagen?«
Noch immer hatte er die Augen geschlossen. »Wir machen uns nicht nur die Haare schön, sondern auch die Wahrheit. Wir frisieren sie und verklären unsere Erinnerungen. So lässt sich das alles leichter ertragen. So meine ich das.«
Im Moment war ihr das zu viel. Lukas’ Gedanken empfand sie wie Störgeräusche, die drauf und dran waren, die schöne Stimmung, die noch immer in ihr schwang, zu vertreiben. Sie schloss die Augen wie er und spürte ihren Empfindungen nach. Es war nur ein Video gewesen, ein ganz einfaches Video, und es hatte derart viel in ihr ausgelöst, sie beinahe zum Weinen gebracht und gleichzeitig verzaubert und tief berührt. Es hatte ihre Seele angestupst. Dass man mit Kunst derart starke Gefühle wecken konnte … Sie wollte das auch können. Sie wollte nicht BWL studieren.
Kunst. Film. Architektur. Graphik. Malerei. Egal was, nur nicht Wirtschaft. Doch wie sollte sie Mam das beibringen und Paps? Sie würden das nicht verstehen und ihr die Hölle heißmachen. Mit diesem Gedanken verflog der letzte Rest des Zaubers.
Lukas wirkte wieder verschlossen, in sich gekehrt. Er hing seinen Gedanken nach, war vermutlich wieder bei Isa. Zum ersten Mal machte sie das ungeduldig, beinahe zornig. Er konnte doch nicht ewig Isa
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