Verfluchte Fesseln
und er konnte sein eigenes Blut
pulsieren hören. Das war sie! Er blickte sie halb über die
Schulter an, und sie schaute zu ihm herüber. Er glaubte sie viel
zu lange angesehen zu haben, ohne dass es unverfänglich gewesen
wäre. Normalerweise wendet jemand, wenn er merkt, dass sein
Blick erwidert wird, den Kopf zur Seite oder schaut zumindest
woanders hin. Aber weder sie noch er taten es. Für solches
Verhalten gibt es nur zwei Erklärungen. Aggression oder
Verliebtsein!
Im
Tierreich wird der Blick in die Augen eines Artgenossen immer als
Aggression gewertet, und derjenige, der sich unterlegen fühlt,
wird tunlichst den Blick wenden, um seinem Gegenüber keinen
Grund für einen Angriff zu geben. Das ist beim Menschen ähnlich.
Aber hier es gibt eine Ausnahme. Zwei Verliebte können sich
stundenlang in die Augen schauen, und keiner von beiden käme auf
die Idee, das als Aggression auszulegen.
Es
waren sicher nur ein paar Sekunden, aber Robert kam es vor, als
hätten sie sich eine Ewigkeit angeschaut. Er meinte auch etwas
Fragendes in ihrem Blick erkannt zu haben. Irgendwie kommst du mir
bekannt vor, aber woher kenne ich dich, schien er zu sagen.
Mario
übergab ihr ein kleines Tablett mit zwei Cappuccinos und lief
vor ihr her, um ihr, ganz Gentleman, die Tür aufzuhalten. Robert
hätte es ihm gern abgenommen, aber er war schon glücklich
über das Lächeln, das sie ihm beim Hinausgehen schenkte. Er
war aufgeregt wie ein kleiner Junge. In natura erschien sie ihm noch
schöner war als in seiner Erinnerung, beziehungsweise auf den
Fotos.
„ Sagen
Sie, war das nicht die Besitzerin der kleinen Boutique hier ein Stück
weiter?“, sprach er Mario an, als dieser an seinem Tisch vorbei
zur Theke zurück ging. Mario blieb kurz stehen und sah ihn mit
glänzenden Augen an.
„ Ja,
Franziska Bergmann! Wasse für eine Frau! Mamma mia!“ Und
als wollte er Robert den Wind aus den Segeln nehmen, fügte er
hinzu: „Però isse verheiratet!“ Marco verzog das
Gesicht verächtlich. „Mit eine komische Mann. Verstehe
ische nich!“
„ Wieso
komisch?“, fragte Robert und gab sich Mühe, nicht wirklich
interessiert zu wirken.
„ Weiß
ische nich, wie ich soll sagen? Guckt immer böse und isse nie
freundlich. Eben komische!“, versucht der italienische Gastwirt
zu erklären.
Robert
beschloss nach Hause zu fahren, denn ohne zu auffällig zu
werden, konnte er heute ohnehin nichts mehr unternehmen. Natürlich
wollte er sie wiedersehen, aber es sollte nach Zufall aussehen und
nicht nach Plan.
Auf
dem Heimweg ließ er die kurze Begegnung im Café noch
einige Male vor seinem geistigen Augen ablaufen. Tatsächlich war
fast nichts geschehen, außer das er SIE gesehen hatte und SIE
ihn angelächelt hatte. Aber eine Sache gab es dennoch, die ihn
stutzig machte. Er, der einer Frau immer zuerst auf die Brüste
starrte, zumal, wenn sie den Anschein machten, seinem Ideal zu
entsprechen, hätte nicht einmal sagen können, ob sie diese
hübschen Dinger heute auch dabei gehabt hatte. Ihr Gesicht
faszinierte ihn dermaßen, dass er alles andere gar nicht mehr
wahrgenommen hatte. Er musste lächeln. Verrückt, oder,
dachte er.
Dann
aber fielen ihm wieder die Fotos ein, und sein Lächeln erstarb.
Die verdammten Fotos, auf denen sie zu sehen war, umringt und
begrapscht von wildfremden Männern, erniedrigt und benutzt. Und
dann erst recht dieses brutalen Videos.
Er
war sich nicht sicher, ober er den Stick weiter untersuchen wollte.
Sehr wahrscheinlich würde er noch mehr von diesen furchtbaren
Dingen sehen, und eigentlich wollte er das nicht.
10.
„ Ja,
super!“, tönte Max aus dem Telefon, nachdem ihm Robert
berichtet hatte, dass er sie gesehen habe und sie ihn angelächelt
hatte. „Dann ist der Anfang doch schon gemacht. Jetzt weiter im
Plan! Du kriegst das schon hin.“
Jawohl,
sagte sich Robert, ich kriege das schon hin. Und gleich danach fragte
er sich, was er eigentlich hinkriegen wollte, sollte oder könnte.
Zum ersten Mal, er war bisher so besessen von der Idee gewesen, der
Frau näher zu kommen, dass er den Gedanken nie wirklich zu Ende
gedacht hatte. Was, wenn er ihr näher käme, würde er
dann machen? Worauf zielten seine Bemühungen eigentlich ab?
Würde er sie aus den Fängen dieses Ekels befreien? Befreien
wollen? Befreien können? Und dann? Langsam ging er sich selbst
damit schon auf die Nerven, dass er immer nur Fragen hatte und nie
Antworten.
Er
saß vor dem Computer und sah nach seinen Emails, um sich
irgendwie
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