Verfluchte Fesseln
abzulenken. In seinem ganzen Leben war er noch nie in einer
solch vertrackten Situation gewesen, zumindest konnte er sich an
keine erinnern, dass er an nichts anderes denken konnte, wie jetzt an
diese Frau. Und natürlich daran, was mit ihr geschehen war und
wahrscheinlich auch immer noch geschah. Der USB-Stick lag neben der
Tastatur, aber er wagte nicht, ihn einzustecken, weil er befürchtete,
noch mehr von solchen Dingen zu sehen, die ihn gestern regelrecht
schockiert hatten. Klar wusste er, dass in vielen Schlafzimmern Dinge
abgingen, die dem Durchschnittsbürger einfach unerklärlich
und nicht nachvollziehbar waren. Und er selbst war schließlich
sogar einer von denen, die dafür plädierten, das nichts
verboten, sondern alles erlaubt sei. Das allerdings nur unter der
Voraussetzung, des es niemanden in seiner eigenen Freiheit, in seinen
eigenen Bedürfnissen und in seiner Unversehrtheit einschränkte.
Selbst grenzwertige Sexspielchen hielt er für absolut legitim,
solange alle Beteiligten damit einverstanden waren. Aber was er
gestern gesehen hatte, ging ganz eindeutig zu weit. Das war kein
Spiel, das war bitterer Ernst.
Er
beschloss, den Stick heute ganz einfach liegen zu lassen und
schaltete die Flimmerkiste, wobei dieser Begriff absolut nicht mehr
zutraf, denn erst vor ein paar Wochen hatte sich einen riesigen
Flachbildfernseher zugelegt. Gestochen scharfes Bild, glasklarer Ton,
einfach Spitze. Aber so viel Spaß ihm das Gerät auch in
den letzten Tagen gemacht hatte, heute wollte sich nichts davon
einstellen.
„ Mann,
du hast doch einen an der Waffel!“, sagte laut zu sich selbst,
als er das Gerät schon nach einigen Minuten wieder abschaltete.
So langsam, fand er, gehörte er wohl auf die Couch.
Er
holte sich ein Bier und goss sich einen großen Wodka ein, genau
besehen, einen sehr großen. In einem Zug schüttete er das
klare Getränk hinunter und tatsächlich stellte sich so
etwas wie Ruhe in ihm ein. Er stand am Fenster und sah in die
tiefstehende Sonne. Der Tag war tatsächlich schön geworden,
dachte er, und spülte mit seinem Bier nach. Mal schauen, was der
morgige Tag bringen würde. Nach drei weiteren Wodkas hatte er
die nötige Bettschwere und ging ins Bett.
11.
Erstaunlich
früh war Robert aufgewacht und zu seiner Verwunderung hatte er
nicht einmal einen Brummschädel. Mit einer Tasse Kaffee und
einem aufgebackenen Brötchen setzte er sich an den Esstisch und
begann, in der Tageszeitung zu blättern. Eine seiner Marotten
war, jeden Morgen die überflüssigste Meldung zu küren.
An diesem Morgen hatte ein Artikel gewonnen, der davon berichtete,
dass in der der Türkei ein landesweites Verbot des Verkaufs von
alkoholischen Getränken nach 22 Uhr in Kraft getreten war. Laut
Gesetz war nun auch der Verkauf von Alkohol in einem Umkreis von 100
Metern um Moscheen und Schulen verboten.
„ So
ein Schwachsinn!“, murmelte er und blätterte den Lokalteil
auf.
Im
selben Moment dachte Robert, er müsse daran arbeiten, seine
Brötchen und Croissants etwas fester in der Hand zu halten, denn
ersteres wäre ihm um ein Haar wieder in die Kaffeetasse
gefallen. Er glaubte, seinen Augen nicht zu trauen und sah ganz
bewusst noch einmal ganz genau hin. Der Zeitungsraster war fein
genug, es gab keinen Zweifel, das war der Kerl, der Mann seiner
Angebeteten! In der Bildunterschrift war zu lesen, dass es sich bei
ihm um einen gewissen Peter Bergmann handelte, Oberstudienrat am
Helmholtz-Gymnasium. Das Bild zeigte ihn vor einer Gruppe junger
Menschen, die laut Text Austauschschüler aus Birmingham waren.
„ Hab
ich dich, du Sauhund!“, murmelte Robert und nahm einen
kräftigen Schluck Kaffee. Er war froh, ihm nicht mehr nachfahren
zu müssen, um seinen Arbeitsplatz zu erkunden. Die Wettervorsage
ließ auf einen weiteren schönen Spätsommertag hoffen,
und Robert war entschlossen, seinen Plan weiter auszuführen, der
allerdings schönes Wetter voraussetzte.
Da
er nun wusste, wohin sie morgens fahren würde, hatte er keine
Eile. Er war noch kurz zur Agentur gefahren, um einige Dinge
bezüglich des nächsten Auftrags zu regeln. Einem der
Mitarbeiter, Ibrahim, ein junger Türke, erzählte er von dem
ominösen Alkoholverbot, und beide lachten sich halbtot.
Danach
war er noch zur Post gefahren, um ein Paket abzuholen. Er hatte sich
ein neues Weitwinkelobjektiv bestellt, dass er zu dem anstehenden
Shooting mitnehmen wollte. Die Testberichte schilderten geradezu
überschwänglich die Qualitäten dieser Optik und er
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