Verfluchte Seelen
Irgendetwas ging zu Bruch. Dieselben Geräusche drangen von draußen zu ihnen herein.
»Wohin?«, fragte sie.
Nach dem Lageplan von Seth zu urteilen, waren die Vampire entweder am Ende des mittleren oder des linken Flurs.
»Cliff! Joe!«, rief Bastien.
Aber Melanie hörte nichts außer den panischen Rufen der Söldner.
»Lass es uns mit dem mittleren Flur versuchen«, schlug er grimmig vor und sauste los.
Sie wusste, was er dachte, denn sie hatte den gleichen Gedanken gehabt: Wenn die Vampire nicht betäubt worden waren, dann konnte die Tatsache, dass sie nicht antworteten, nur bedeuten, dass sie tot waren.
Männer in Tarnanzügen strömten mit erhobenen Waffen in den Korridor. Bastien duckte sich mal in die eine und mal in die andere Richtung, um den Kugeln und Betäubungspfeilen auszuweichen, die in ihre Richtung flogen. Während sie ihre Waffen zog, versuchte Melanie, es ihm nachzutun, aber leider hatte sie nicht so viel Übung wie er. Sie bekam zwei Schüsse in die Brust, die von ihrer schusssicheren Weste aufgehalten wurden. Wenig später bohrte sich ein Pfeil in ihre Kevlar-Weste. Ein weiterer traf sie am Arm.
Sie steckte die Sig zurück in das Holster und zog einen der Autoinjektoren mit grüner Verschlusskappe aus der Hosentasche. Lethargie breitete sich in ihren Gliedern aus, als sie die Kappe löste. Sie hob die andere Sig und feuerte auf die Soldaten, während sie den Injektor gegen ihren Oberschenkel presste.
Männer gingen zu Boden. So viele, dass sie nicht mehr mitzählen konnte. Wenn diese Männer nicht alles Menschenmögliche getan hätten, um sie zu töten, wäre sie vielleicht nicht in der Lage gewesen, ihnen wehzutun. Immerhin war sie Ärztin. Jemand, der Menschen
heilte
. Der Wunden versorgte, nicht verursachte.
Zumindest nicht bis zu diesem Tag.
Neue Energie strömte in ihre Körperglieder und verdrängte die Benommenheit.
Mit hoher Geschwindigkeit flitzte sie von Soldat zu Soldat und betäubte die Männer, statt sie zu töten. Sie redete sich ein, dass sie es tat, damit Seth ihre Gedanken lesen und Informationen aus ihnen herausbekommen konnte, aber sie wusste, dass sie in Wahrheit mehr Zeit brauchte, um sich daran zu gewöhnen, einen Menschen zu töten. Ein paar dieser Männer waren möglicherweise nichts als unschuldige Narren. Andere wiederum genossen es womöglich, Emrys’ Befehlen zu folgen, gegen seine Feinde zu kämpfen und ihnen Schmerzen zuzufügen. Aber sie wusste nicht, wer zu welcher Kategorie gehörte, und es gefiel ihr nicht, einen Menschen nur auf einen Verdacht hin zu töten.
Die Männer, die sie betäubte, wehrten sich ausnahmslos. Melanie war entsetzt, wie leicht es ihr fiel, sie zu entwaffnen und zu fesseln.
Sie spürte Bastiens Blick und wusste, dass er sie im Auge behielt. »Alles prima!«, rief sie ihm zu, erst dann fiel ihr ein, dass sie nicht die Stimme heben musste. Obwohl von draußen die Geräusche von Schüssen und einer Explosion hereindrangen – die Explosion zerstörte die Glastüren des Vordereingangs komplett –, konnten sie einander problemlos hören, wenn sie in normaler Lautstärke miteinander sprachen.
»Alles prima«, wiederholte sie. Sie wich ein paar Schüssen aus, indem sie sich duckte, ließ einen weiteren bewusstlosen Soldaten zu Boden fallen und stürzte sich auf den nächsten.
Noch nie in seinem Leben hatte Bastien so viel Angst gehabt. Am liebsten hätte er Melanie gesagt, dass sie aufhören sollte, diese Arschlöcher zu betäuben, um sie stattdessen zu töten. Das ging sehr viel schneller und war nur halb so riskant.
Andererseits kannte er Melanie. Und obwohl sie nichts gesagt hatte, wusste er, dass es ihr schwerfiel, jemanden zu töten.
Teufel noch mal, am Anfang war ihm das auch nicht leichtgefallen. Es war schon schwer gewesen, als er noch ein Sterblicher gewesen war und in Napoleons …
Als ihn zwei Kugeln am Arm und an der Schulter trafen, fluchte er. Er schlug dem Schützen die Waffe aus der Hand, schleuderte zwei Dolche in seine Richtung und stürzte sich auf den nächsten Feind, während der Schütze hinter ihm zu Boden ging.
Nein, einen Menschen zu töten war nicht einfach. Er hatte gehört, dass Sarah am ganzen Leib zitterte, nachdem sie ein paar Vampire getötet hatte, auch wenn sie es mit erstaunlicher Zweckmäßigkeit erledigte. Und Sarah jagte nun schon seit ein paar Jahren Vampire.
Er sah, wie Melanie zusammenzuckte und Blut aus einer Wunde in ihrem Oberschenkel quoll.
Die Schmerzen waren noch so eine Sache,
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