Verfolgt
heute an, auf ein Facelifting zu sparen.
»Angie erwartet was Kleines.« Mrs Harris zeigt auf die selbstgefällig grinsende alte Schachtel neben sich.
»Echt?« Ich mustere Angies Bauch unter dem weiten Blumenkleid. Die Frau ist mindestens achtzig! Ich dachte immer, so was geht überhaupt nicht.
»Mein vierzehntes Enkelkind«, klärt Angie mich auf. »Weihnachten ist es so weit.«
»Emmie kann’s nicht verknusen, wenn eine von uns Oma wird«, erläutert Mrs Harris. »Weil sie selber keine Kinder hat. Und keine Kinder – keine Enkel.«
»Klar.« Ich bin ein bisschen verlegen, dass ich so in die Unterhaltung einbezogen werde.
»Da ist Emmie ja wieder«, raunt die vierte Dame am Tisch. Wie sie heißt, weiß ich nicht, aber ihre Schuhe gefallen mir: schwarzer Lack mit zehn Zentimeter hohen Absätzen. Die Trägerin hat ihr langes, glattes weißes Haar zum Pferdeschwanz gebunden. Emily setzt sich umständlich und lässt dabei ihren Stock fallen. Ich hebe ihn auf und lehne ihn an den Tisch. Dann schenke ich Emily Wein nach, auch wenn ich das eigentlich nicht darf, weil |179| ich noch nicht achtzehn bin, aber sie sieht aus, als könnte sie einen kräftigen Schluck gebrauchen. Anschließend flüchte ich wieder in die Küche. Ich dachte immer, wenn man alt ist, wird das Leben einfacher. Scheint nicht so zu sein.
Um zehn habe ich Feierabend. Ich muss aber noch dableiben, weil Wendy mit mir über eine Verlängerung meiner Schichten sprechen will. Stattdessen rennt sie durch die Küche und füllt Dessertschälchen. Ella wollte eigentlich mit mir zusammen nach Hause gehen, aber ich schicke sie weg.
»Das kann noch ewig dauern und du gehörst ins Bett«, sage ich. Ella hat eine rote Nase und ist erkältet. Außerdem lauere ich auf eine Gelegenheit, etwas für Kos mitgehen zu lassen, und das braucht Ella nicht mitzukriegen.
Um zwanzig nach zehn bin ich endlich draußen. Mein Rucksack platzt fast: eine noch fast volle Schachtel Pfefferminzplätzchen, ein halber Laib Käse und zwei Liter Milch, dazu meine Arbeitsklamotten. So etwas nennt man wohl Diebstahl, aber darüber will ich jetzt nicht nachdenken. Ich nehme den Weg über den Parkplatz. Der Parkplatz ist schlecht beleuchtet, aber am anderen Ende sehe ich zwei Leute stehen, Ella und einen Jungen. Dieses durchtriebene kleine …
»Huhu!«, rufe ich und steuere auf die beiden zu. Aber irgendetwas stimmt nicht. Ganz und gar nicht. Der Junge hält etwas Spitzes in der Hand, das im Laternenschein |180| blinkt, und Ella kramt in ihrer Tasche. Ich höre sie schluchzen.
Ich renne los. »Hey!«, brülle ich empört. »Lass sie in Ruhe!«
Der Junge dreht sich zu mir um. Sein drohender Blick macht mir Angst. So wie er mich ansieht, bin ich als Nächste dran. Dann fällt ihm die Kinnlade runter. Mir genauso. Ich traue meinen Augen nicht. Der Junge grinst, aber ehe er den Mund aufmachen kann, habe ich ihm eine geknallt.
»Bist du bescheuert, meine Freundin auszurauben, du Arsch?«, schreie ich ihn an und werfe ihm die schlimmsten Schimpfwörter an den Kopf, die mir einfallen.
»Der Typ hat ein Messer, Lexi!«, sagt Ella ängstlich. »Provozier ihn nicht auch noch!«
Er trägt eine potthässliche Jogginghose, eine scheußliche weiße Jacke und eine schmutzige Baseballkappe.
Ich bin so sauer, dass er meine Freundin überfallen hat, dass ich ihn umbringen könnte. »VERPISS DICH!«, schnauze ich ihn an. Dann sage ich: »Komm, Ella«, nehme sie am Arm und führe sie vom Parkplatz.
»Wollen wir nicht lieber wieder ins Hotel gehen?«, raunt mir Ella zu und sieht sich um. »Da kann er uns nichts tun.«
»Keine Sorge, solange ich dabei bin, tut der nichts«, erwidere ich grimmig.
Als wir auf der Straße sind, bricht sie in Tränen aus. »Wer war das? Ich hab ihn noch nie gesehen!«
|181| »Wenn dem Scheißkerl sein Leben lieb ist, lässt er sich hier nicht mehr blicken«, sage ich giftig.
»Vielleicht ist es ja der Dieb von Bewlea«, meint Ella.
Ich antworte nicht gleich. »Ach, das glaube ich nicht«, sage ich dann.
»Du warst toll!«, schwärmt sie. »Supermutig! Die reinste Furie.« Dazu äußere ich mich nicht, sondern drücke nur ihre Hand. Als wir vor Ellas Haustür stehen, hat sie zu zittern aufgehört. »Man sollte nicht denken, dass so etwas in unserem Dorf vorkommt«, sagt sie.
»Nein«, stimme ich ihr von ganzem Herzen zu.
»Was meinst du, soll ich die Polizei verständigen?«, überlegt Ella laut. »Aber wahrscheinlich ist der Typ längst über alle Berge
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