Verfolgt
allerdings ganz schön eklig sein. Wahrscheinlich haut er dir erst mal ein paar rein, bis er sich an dich gewöhnt hat.«
Aber Kos macht ein zu Tode erschrockenes Gesicht. »Pst, Lexi!«, sagt er mit vollem Mund.
»Ich …«
»PSSST, Lexi!«, sagt er nachdrücklich. Ich habe ihn verärgert. Er springt auf. Will er wegrennen?
»Reg dich wieder ab«, sage ich. »War bloß so ’ne Idee von mir.«
»Polisei!«, sagt er. »Polisei … schlagen.« Er sieht mich mit großen Augen an. »Polisei Kos schlagen. Mutter schlagen.«
Ich erwidere seinen Blick ungläubig und frage noch einmal: »Wer bist du, Kos?«
»Kos.«
»Was machst du hier, Kos? Wo ist deine Mutter jetzt?«
Kos leckt sich die Finger ab und sieht mich lange an. »Vogel. Weit weg.«
Herrgott noch mal!
»Was soll das heißen, Kos?« Er verzieht das Gesicht, |210| saugt die Wangen ein, legt die Stirn in tiefe Falten und fängt an zu summen. Ich will schon fragen, was das nun wieder soll, da merke ich, dass er sich das Weinen verbeißt.
Ich lege ihm die Hand auf den Arm. »Ist deine Mutter tot, Kos?«
»Ja. Tot. Böse, böse Männer.«
Eine ganze Weile sehe ich ihn einfach nur stumm an. Träume ich? Dann reiße ich mich zusammen. »Sollen wir zur Polizei gehen?«, frage ich leise.
Seine Miene verfinstert sich. »NICHT POLISEI!«, ruft er und versetzt mir einen Stoß, dass ich von meinem Holzklotz purzle.
»Reg dich ab, Kos. Ich kann die Typen auch nicht besonders leiden.«
Anscheinend habe ich mir schon wieder einen Freund angelacht, der gegen die Bullen allergisch ist.
Morgens um fünf schleiche ich mich durch die Hintertür wieder ins Haus. Draußen ist es noch dunkel. Ich bin nass und müde und mir schwirrt der Kopf. Ich bin sicher, dass mir Kos mehr erzählen könnte, wenn er wollte. Manchmal scheint er jedes Wort zu verstehen und antwortet in halbwegs korrektem Englisch, wenn es aber um heikle Themen wie um seine Mutter oder seine Herkunft geht, stottert er vor sich hin, produziert nur noch Ein-Wort-Sätze und fällt in seine Steinzeitsprache zurück. Ich zerbreche mir den Kopf über das, was er über die Polizei und seine Mutter |211| gesagt hat, und mir drängen sich alle möglichen Schlussfolgerungen auf, aber es ist schwer, das Ganze zu beurteilen, wenn man nur so wenig weiß.
Vielleicht hat er ja auch die Polizei in seiner Heimat gemeint, wo immer das sein mag. Vielleicht stammt er aus einer Familie von Langfingern (wie ich) und ist deswegen immer auf der Hut. Oder es geht um etwas ganz anderes. Etwas, das mit Owen und womöglich überhaupt mit der Beacon-Klinik zu tun hat.
Ich habe da so eine dumpfe Ahnung, wo Kos herkommen könnte.
Ich ziehe den Mantel aus, stecke meine dreckigen Schuhe in eine Plastiktüte und hole mir ein Glas Wasser. Als ich hochgehen will, bleibt mir fast das Herz stehen, denn Owen steht auf dem Treppenabsatz und beobachtet mich. Er trägt noch seine Dienstkleidung. Mist! Anscheinend hatte er heute früher Schluss.
»Wo kommst du her?«, will er wissen.
»Aus der Küche. Ich hatte Hunger.« Ich drängle mich an ihm vorbei.
»Warum bist du dann angezogen?«, fragt er.
»Weil ich in Klamotten eingepennt bin«, erwidere ich und nehme zwei Stufen auf einmal, damit er nicht weiterbohren kann. Ich gehe schnurstracks in mein Zimmer und mache die Tür zu. Ich höre, wie er die Treppe hochkommt. Vor meiner Tür bleibt er stehen und ich höre ihn atmen. Ich mache mich ganz steif.
|212|
»Ich denke, du magst keine Würstchen?«,
höre ich ihn raunend flüstern.
»Schon gar nicht meine. Hat das Picknick im Wald gut geschmeckt?«
Mir stockt das Herz und ich muss mich an die Wand lehnen, um nicht umzukippen. Ich bleibe eine Ewigkeit so stehen und wage nicht, mich zu rühren. Ist er noch da? Dann höre ich endlich die Haustür zuschlagen und seinen Wagen draußen anspringen. Er ist weg.
|213| FLOHMARKT
Das Erste, was mir durch den Kopf geht, als ich gegen Mittag endlich wach werde, ist:
Dad sitzt im Knast.
Ich fühle mich elend. Als ich gestern Abend mit Kos unterwegs war, ist es mir gelungen, kaum an Dad zu denken. Vielleicht bin ich ja nur deshalb in den Wald gegangen – um ihn zu vergessen. Aber jetzt ist alles wieder da. Ich bin total sauer, dass mir Dad nicht gesagt hat, was los ist. Andererseits hätte er von mir was zu hören bekommen, wenn er mir die Wahrheit gesagt hätte. Mutter glaubt, er wird Weihnachten auf Bewährung entlassen, was bedeuten würde, dass ich noch vier Monate hier in Bewlea
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