Verfuehr mich
unaufgepumpte Boot unter den Arm, gab ihr einen Kuss auf die Nase und ging den Weg zurück, den sie gekommen waren.
Sich selbst überlassen, stöberte Bliss ein bisschen im Keller herum und war erneut beeindruckt. Zweifellos wusste Jaz all diese Werkzeuge auch einzusetzen. Viele von ihnen sahen wie Erbstücke aus. Irgendwer hatte Nägel in die Kellerwand geschlagen, um sie dort aufhängen zu können und die Umrisse der Werkzeuge mit Filzstift nachgezeichnet.
Sie berührte einen Zimmermannshobel, dessen Farbe am Griff fast völlig abgenutzt war. Wie die meisten der anderen Werkzeuge war er schwer und massiv. Sie konnte sich gut vorstellen, wie Jaz von seinem Vater beigebracht worden war, mit ihnen umzugehen. Aber sie musste es sich auch gar nicht vorstellen, denn an der Wand über der Werkbank hing ein vergilbter Schnappschuss von einem Mann, der zusammen mit zwei kräftigen, kleinen Jungs letzte Hand an ein Modellboot legte. Das mussten die Claybourn-Männer sein – die Familienähnlichkeit war unverkennbar. Sein Vater hatte dieselben breiten Schultern und das angenehm verschmitzte Grinsen.
Das Foto war offensichtlich vor langer Zeit aufgehängt worden. Als sie es genauer betrachtete, erkannte sie im Hintergrund genau denselben sandigen Keller. Jaz’ Refugium war auf das Fundament eines älteren Hauses gebaut worden – dort, wo er als Kind seine Sommer verbringen durfte. Vielleicht hatte er sogar das ganze Jahr über hier gelebt, wenn von seinem Vater hier so viele Häuser gebaut worden waren.
Da fiel ihr das Foto aus seinem Büro ein, das ihn zusammen mit seiner Mutter zeigte. Auch ihr sah er irgendwie ähnlich. Und sein Bruder auch. Vielleicht vermischten sich die Gesichtszüge der beiden Linien einfach nur gut. Der jüngere Bruder war blond. Unter dem Foto stand in sauberer, weiblicher Schrift Jaz und Joey mit Dad, 1976 .
Er war also der große Bruder. Das passte. Wahrscheinlich hatte er die verantwortungsbewusste, kompetente Art von seinem Vater geerbt – genau wie die Werkzeuge. Bliss fragte sich, wo wohl seine Mutter lebte. Ob sie hier draußen auch ein Haus hätte oder wenigstens ab und zu zu Besuch käme. Schluss damit, schalt sie sich. Du hast die Stufe noch nicht erreicht, wo man die Mutter kennenlernt. Es wird eine Weile dauern, bevor er deine Eltern kennenlernt. Und umgekehrt.
Bliss fuhr mit einer Hand über die Werkbank, die schon ganz zerfurcht war. Ihre Finger wanderten weiter zu einem wuchtigen, alten Schraubstock. Abwesend drehte sie an der Metallstange, die den Schraubstock öffnete und wieder schloss. Als sie die genauestens beschrifteten Schubladen voll alter Schrauben und Nägel sah, musste sie lächeln.
Er hatte alle Sachen seines Vaters aufgehoben, und das sagte eine Menge über ihn aus. Er war geschickt mit seinen Händen und konnte sentimentale Gefühle für eine Schublade mit alten Nägeln entwickeln. Bliss schaute noch einmal auf das Foto, lächelte und ging dann in Richtung Tür, um oberhalb der Rampe auf Jaz zu warten.
Der kam gerade den breiten Pfad herunter, das fest aufgepumpte Schlauchboot wie ein riesiger Heiligenschein auf seinem Kopf thronend. Er hielt die Seile an den Seiten fest, damit es nicht zu sehr schaukelte, und grinste Bliss an wie ein kleiner Junge. »Bist du bereit für eine Bootstour?«
Bliss schaute auf ihre Shorts und ihr T-Shirt. »Soll ich mich umziehen?«
»Ist eigentlich egal. Nass wirst du sowieso – egal, was du anhast.«
»Dann behalte ich die Sachen an.«
»Gut. Ich mag dich so, wie du bist«. Er zwinkerte ihr zu und stapfte den Pfad zum Strand entlang. Von hinten sah man unter dem Schlauchboot auf seinem Rücken nur noch die bloßen Füße. Ein vorbeilaufender Hund starrte ihn irritiert an und bellte dann wild drauflos.
»Ganz ruhig, Kleiner«, beruhigte sie das Tier und lief leichtfüßig hinter Jaz her, um den Anschluss nicht zu verlieren. Er nahm das Boot seitlich, um die Düne auf der Holztreppe zu überqueren, hatte aber Mühe das umlaufende Tau wegen des aufkommenden Windes festzuhalten.
Am Meeresufer angekommen, hob er das Boot an und setzte es mit Bliss’ Hilfe ins Wasser. Dabei hielt er mit einer Hand immer noch eines der Seile fest. Der Sog des sich zurückziehenden Wasser ließ das Schlauchboot auf und ab hüpfen. »Spring rein!«, forderte er sie auf.
»Hast du etwa vor, mich unterzutauchen?«
»Nein, keine Sorge. Versprochen.« Er beugte sich vor, um das Boot für sie festzuhalten, und Bliss kroch auf allen vieren hinein.
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