Verfuehre niemals einen Highlander
endlich tief unten die Tür erreichte. Damals pflegte sie den Schlüssel auf dem Türsturz zu verstecken. Voller Ekel vor den klebrigen Spinnweben tastete sie im Dunkel herum, bis sie Metall unter den Fingern spürte. Ah, ihr altes Schlupfloch war unentdeckt geblieben.
Der Schlüssel drehte sich leicht im Schloss; sie zog ihn heraus und verstaute ihn in ihrer Rocktasche, dann schlüpfte sie in den Tunnel, einen dumpfen, nach Erde riechenden Gang, der unter dem Hügel hindurchführte und an einem Berg aufgehäufter Felsbrocken ein Stück weit von der Burg entfernt endete.
Draußen war die Luft frisch und kam ihr nach der kalten Feuchte nachgerade warm vor. Als sie den Hügel hinab zum Dorf hastete, gaben die Sterne gerade genug Licht, um den tiefsten Furchen im Boden ausweichen zu können, und so dauerte es nicht lange, bis sie vor Ians Haus stand.
Licht hinter den Fenstern im Erdgeschoss ließ sie hoffen, dass sie noch nicht zu spät gekommen war. Sie klopfte laut an die Tür.
Von drinnen klang schwaches Husten, doch niemand kam zur Tür.
Erneut klopfte sie.
„Herein!“, rief eine angestrengte Frauenstimme, dann wieder das Husten. Mrs Gilvry. Hieß das, dass Ian schon fort war?
Was nur sollte sie sagen? Den Sohn dieser Frau einer Straftat beschuldigen? Das würde sicher auf Begeisterung stoßen! Vielleicht sollte sie einfach wieder gehen.
„Herein!“, klang es noch einmal, dieses Mal lauter.
Sie konnte nicht fortgehen und die Frau, womöglich in Angst um ihre Sicherheit, im Unklaren darüber lassen, wer geklopft hatte. Also drückte sie die Klinke und trat ein.
„Hier drüben“, kam es durch eine angelehnte Tür zur Rechten.
Selina trat ein und erwartete, in ein Wohnzimmer zu kommen, stand jedoch vor einem großen Himmelbett, in dem eine bleiche Frau, das Haar unter einem Nachthäubchen verborgen, an einem wahren Gebirge aus Kissen lehnte.
„Mrs Gilvry?“
„Aye.“ Ihre blassen Finger fassten die Decke unter ihrem Kinn fester, und mit ihren grünen Augen musterte sie Selina ernst. Andrew und Logan hatten diese Augenfarbe geerbt. Ian ähnelte wohl seinem Vater. „Und wer kommt da mitten in der tiefsten Nacht?“ Sie sprach keuchend.
„Selina Albright. Ich suche Ihren Sohn. Ist er daheim?“
Die Augen der Frau wurden ganz groß. „Wie, Ian? Was will denn wohl eine Albright-Tochter mitten in der Nacht von ihm? Hat Ihre Familie unseren Leuten noch nicht genug angetan?“
Die Sünden der Väter wurden immer noch an den Kindern ausgelassen. „Ich habe eine Nachricht für ihn, dringend.“
Der Blick ihrer grünen Augen wurde schärfer. „Gibt es Schwierigkeiten?“
Selina nickte. „Die Zollbeamten sind heute Nacht unterwegs.“
Mrs Gilvry klatschte die dünnen Hände zusammen. „Ich habe ihm gesagt, er soll nicht hinaus.“
„Ian?“
„Nein, Logan. Mein Jüngster. Er sollte bei mir bleiben, aber er konnte es einfach nicht lassen. Ist seinem Bruder vor einer knappen halben Stunde gefolgt. Er hört einfach nicht mehr auf mich. Soll ich etwa alle meine Söhne verlieren?“
Selina schmerzte das Herz, als sie die Qual in der Stimme der Frau hörte. „Wissen Sie, wo sie zu finden sind? Ich … ich könnte sie warnen.“
Die Frau warf ihr einen misstrauischen Blick zu. „Warum sollten Sie das tun?“
Selina zuckte die Achseln. „Ian ist ein Freund.“ Das stimmte, wenn das Wort auch nicht ganz die Art ihrer Beziehung wiedergab. Eher eine unbequeme Freundschaft.
Die Frau drehte den Kopf weg, starrte mit zusammengepresstem Mund eine Weile ins Feuer. Dann wandte sie sich wieder Selina zu. „Es geht mir gegen den Strich, einer Albright zu trauen. Wenn Sie ein falsches Spiel spielen, werde ich Sie den Rest meiner Tage verfluchen, so wenige es auch noch sind!“
Der Tonfall Mrs Gilvrys war so bitter, dass Selina einen Schritt zurückwich. „Sagen Sie mir, wo ich sie finden kann.“
„Balnean Cove.“
Der Name stach in die Narbe, die sie für längst geheilt glaubte, als wäre sie noch frisch. Dorthin war Ian einst mit ihr gegangen, bei ihrem letzten Treffen. Sie hatten sich geküsst; einen kurzen Moment verzaubert und schwindlig vor seligem Empfinden waren sie Hand in Hand über den Sand der Bucht gewandert, bis Ians Brüder ihnen über den Weg liefen. Dann hatte er sie mit Verachtung überschüttet.
Angesichts ihrer Aufgabe unterdrückte sie gewaltsam die Erinnerung an jenen Tag. Die Grotte war mindestens drei Meilen entfernt, zu Fuß würde sie nicht vor Mitternacht eintreffen.
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