Verfuehre niemals einen Highlander
es glauben wollte, musste sie sich doch eingestehen, dass ihr Vater ganz und gar unbarmherzig war, wenn es um Macht und Geld ging. Genau darauf beruhte sein Erfolg.
Er würde entzückt sein, die Gilvrys aus dem Weg zu haben.
Die Erinnerung an Ians starke Arme, die sie hielten, verfolgte sie, als wäre sie immer noch das vernarrte Schulmädchen. Nur schlimmer, denn andere Empfindungen quälten sie obendrein; Schauer des Begehrens durchrannen sie, die sie anscheinend nicht beherrschen konnte.
Und verstärkt wurden sie noch bei dem Gedanken daran, wie er sie in der Scheune angesehen hatte.
Erhitzt und verdrießlich schlüpfte sie aus dem Bett und ging zum Fenster. Es war klar draußen, die Regenwolken hatten sich verzogen. Am Himmel blinkten ein paar Sterne.
Eine perfekte Nacht zum Schmuggeln.
Eine perfekte Nacht zum Fallenstellen.
Sie schaute zum Dorf hinüber. Bildete sie es sich ein, oder sah sie Männer, die Lastponys über die Heide führten?
Einbildung. Es war zu dunkel, um vor dem Nachthimmel mehr zu erkennen als die Umrisse der fernen Hügel.
War Ian da draußen? Und würde er jeden Moment den Zollbeamten ins Netz gehen? Sie hätte heute Nachmittag gehen und ihn warnen sollen, anstatt sich einzureden, dass das Ganze sie nichts anginge. Sie schuldete ihm mehr als einen Dank dafür, dass er Alice geholfen hatte. Und sie fühlte sich seltsam verantwortlich, auch wenn die Bewohner von Dunross sie hassten. Dunross Keep mochte ihre Mitgift sein – doch Ian Gilvry war der Laird dieser Menschen. Sie könnte niemals damit leben, dass sie nicht wenigstens versucht hatte, ihn zu warnen.
Die Uhr schlug elf. Es war ihr wie eine Ewigkeit erschienen, doch der Stundenzeiger hatte gerade nur einmal das Zifferblatt umrundet. Vielleicht war es noch nicht zu spät. Es war ja nicht so, als ob nicht jeder ein Auge zudrückte, was die Schmuggelei anging. Guter Gott, selbst ihr Vater hatte in London einen Keller voll mit geschmuggeltem Brandy. Solange dabei niemand zu Schaden kam, betrachtete man Schmuggeln, auch wenn es gegen das Gesetz war, eher als ein Spiel.
Ein Spiel, von dem Ian die Finger hätte lassen sollen, solange ihr Vater auf Dunross Keep residierte.
Ihre Hände zitterten, als sie in ihren Kleidern kramte. Das Korsett! Wie sollte sie es ohne Hilfe ihrer Zofe schnüren? Ihr fiel ein weiter, bunter Rock in die Finger, den sie in Lissabon zu einem Maskenfest getragen hatte. Eine Bauernbluse gehörte dazu mit einem Mieder, das vorn geschnürt wurde.
Aber wenn sie Topaz nehmen wollte, brauchte sie Hosen, denn sie würde im Herrensitz reiten müssen. Tief im Schrank fand sie ein Paar, noch aus ihren Mädchenjahren hier in der Keep, als ihr Vater sie der Dienerschaft überlassen hatte, unbekümmert um das, was sie so trieb. Die würde sie unter ihren Röcken tragen.
In diesem Aufzug würde sie jeder, der sie sah – auch die Zöllner –, für ein Mädchen aus dem Dorf halten. Solange sie nicht auf Dunstan traf.
Der Gedanke verursachte ihr leichte Übelkeit. Wenn sie erwischt würde, wäre jede Hoffnung auf eine gute Heirat dahin.
Sie musste eben dafür sorgen, dass er sie nicht zu Gesicht bekam. Schließlich wollte sie nur ins Dorf und wieder zurück. Er hingegen wartete am Strand auf die Schmuggler. Und hoffentlich vergebens.
Bald hatte sie sich angekleidet, warf einen alten, wollenen Umhang um die Schultern und eilte, ihre Schuhe in der Hand, auf bloßen Füßen nach unten. Erst an der Seitentür schlüpfte sie hinein und hastete dann zu den Ställen.
Mist. Aus den Fenstern darüber, hinter denen Angus wohnte, schien Licht. Wenn sie Topaz aus der Box holte, würde er sie hören und sie aufhalten.
Dann musste sie eben zu Fuß gehen! Natürlich war das Tor verschlossen und verriegelt. So, wie hier nachts alles verrammelt wurde, konnte man denken, es herrschte Krieg.
Aber sie kannte einen Ausweg – den alten Schleichpfad, der als Schlupfloch bei Belagerungen gedient hatte. Vor langer Zeit hatte er sie in die Freiheit, zu den paar heimlichen Treffen mit Ian geführt.
Hoffentlich war der Weg inzwischen nicht versperrt worden. Sie lief die Stufen hinab in die uralten Gewölbe. Im Mittelalter hatten dort die Küchenräume gelegen, heute wurden sie nur noch als Vorratskammern genutzt.
Das nächste Stockwerk erreichte man nur über eine enge, steile Wendeltreppe, auf der sie kaum Platz zum Auftreten fand. Hätte sie doch nur an eine Laterne gedacht! Sie atmete und schmeckte feuchte, modrige Luft, bis sie
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