Verführer der Nacht
wünschte, sie wäre darin erwähnt worden, aber sie hatte Wort für Wort aufgeschrieben, was Armando ihr diktiert hatte. Sie wollte nicht, dass Juan ihr die Enttäuschung darüber, dass Armando sie nicht adoptiert hatte, oder den Zorn über seine Lüge ansah.
Die Sonne brach allmählich durch die dichten Wolkenbänke, die die Berge verhüllten, und aus irgendeinem Grund reagierten Colbys Augen sehr empfindlich auf das Licht. Es stach so sehr, dass sie ihren Hut noch weiter in die Stirn zog, um ihr Gesicht zu beschatten. Doch auch dann brannten ihre Augen in der Sonne.
Juan warf das Tor hinter ihnen zu. »Armando muss noch etwas hinzugefügt haben. Seine Handschrift war undeutlich, und ohne sein Siegel hätten wir sie gar nicht erkannt.«
»Das ist unmöglich. Er konnte sich zum Schluss kaum noch bewegen«, sagte Colby steif und ohne ihn anzuschauen. Ihr Stiefvater hatte sie gebeten, den Brief auf seinem Nachttisch liegen zu lassen, damit er ihn noch einmal durchlesen konnte. Am nächsten Morgen war der Bogen sorgfältig zusammengefaltet gewesen, und Colby hatte ihn in den Umschlag gesteckt und abgeschickt. Sie wünschte sich, dass Juan die Wahrheit sagte. Gleichzeitig hatte sie Angst, es würde ihr das Herz brechen, falls Armando sie nicht mit einbezogen hatte, oder sie zum Weinen bringen, falls er es doch getan hatte.
»Haben Sie je erlebt, dass Armando eine Lüge erzählt hat?«, entgegnete Juan ruhig vor dem Hintergrund ihrer leise knarrenden Ledersättel und dem Scharren der Hufe auf Stein. Eine beruhigende Melodie, wie Colby fand, eine, die sie an ihre Kindheit mit ihrem Stiefvater erinnerte.
Colby schüttelte stumm den Kopf.
»Ich würde nicht das Andenken an meinen Bruder verunglimpfen, indem ich Ihnen eine Lüge auftische.«
Colby ritt eine Weile schweigend weiter und dachte über diese Neuigkeiten nach. »Deshalb hat Ihr Großvater es abgelehnt, ihm zu antworten, nicht wahr?«, erriet sie. »Armando wollte nicht, dass ich es selbst aufschreibe, weil ich nicht wissen sollte, dass Ihre Familie ihn meinetwegen verstoßen hatte.«
»Wenn Sie glauben, dass es seine família war, täuschen Sie sich.«
Sie sah ihn aus blitzenden grünen Augen an. »Dann also die Familie De La Cruz? Sie wollten nicht, dass ich mit meiner unehelichen Geburt ihren makellosen Ruf beflecke?«
Juan seufzte leise. »Die Brüder De La Cruz interessieren sich für derlei Dinge nicht. Wie andere leben, ist ihnen gleichgültig. Die Schuld trifft allein meinen ovô. Er hat weder meinem Vater noch einem von uns etwas von Armandos Briefen erzählt. Hätten wir davon gewusst, wären wir sofort gekommen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viel Kummer das unserer família gemacht hat.«
»Armando war sehr glücklich mit meiner Mutter«, erzählte Colby, während sie in einen schmalen Canyon bogen, der in die Ebene auslief, wo ihr Vieh weidete. Sie ritt sofort zu der kleinen Scheune, in der das Heu gelagert wurde, und lenkte ihr Pferd hinein. Die Sonne machte ihren Augen jetzt wirklich zu schaffen, und der Schatten der Scheune war eine Erleichterung. Sie musste sich bei dem Brand irgendeine Reizung zugezogen haben, ohne es zu merken. Selbst ihre Haut schien überempfindlich zu sein und brannte überall dort, wo das Sonnenlicht sie traf.
Juan, der insgeheim den Dünkel seines Großvaters verfluchte, folgte ihr. »Davon bin ich überzeugt. Er wäre nie in einem anderen Land, weit weg von seiner família, geblieben, wenn er nicht etwas Besseres gefunden hätte.«
Colby ließ sich anmutig aus dem Sattel gleiten. Wie immer waren ihre Bewegungen knapp und präzise. Juan bewunderte ihre Tüchtigkeit, als sie anfing, das Heu zu wenden. »Und wie passt die Familie De La Cruz ins Bild?«, fragte sie betont beiläufig.
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Colby wusste, dass der Mann, der an ihrer Seite arbeitete, seine Worte sorgfältig wählte. » Ihre família ist wie unsere sehr alt. Die beiden Familien sind seit Hunderten von Jahren miteinander verbunden. Wie lange diese Verbindung zurückreicht, wer weiß? Wir kümmern uns um den Besitz, und sie kümmern sich um uns. Auf diese Art geht es schon so lange, dass wir praktisch eine família geworden sind.«
»Aber Sie haben doch selbst Geld und Land.«
»Das stimmt, doch unsere Familien haben eine symbio-tische Beziehung. Was gut für die Familie De La Cruz ist, ist gut für uns. Sie haben bestimmte Fähigkeiten, und wir helfen ihnen in anderen Bereichen.«
Er sagte ihr etwas, jedoch
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