Verführer der Nacht
vernichten? Nicolas hatte recht, ihm blieb nichts anderes übrig, als sie voll und ganz in seine Welt zu holen, wo er sie jederzeit beschützen konnte.
Diesem Gedanken folgte ein anderer, der noch quälender war. Es fiel ihm schwer, hilflos in der Erde zu ruhen, während Colby ohne seinen Schutz unbekannten Gefahren ins Auge sehen musste. Wie würde ihr zumute sein, wenn sie bei ihm in der Erde lag und der kleinen Ginny Gefahr drohte? Sein Herz machte einen seltsamen kleinen Satz. Die ganze Sache war wesentlich komplizierter, als er zuerst angenommen hatte. Es wäre viel einfacher, wenn er nur an sich selbst und an seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse denken müsste. Ein wilder Zorn schien an seiner Seele zu nagen. Colby würde furchtbar leiden, wenn sie unter der Erde bleiben musste, und ihre mitfühlende Seele würde die Trennung von ihren jüngeren Geschwistern nicht verkraften. Sie liebte die beiden, als wären sie ihre eigenen Kinder. Es war eine inbrünstige, rückhaltlose Liebe, die Art Liebe, die er sich von ihr wünschte.
Rafael fluchte ausgiebig. Er hatte Colby teilweise in seine Welt geholt, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was es für sie und ihr Leben bedeutete. Für ihre Träume. Für alles, was ihr wichtig war. Ohne ihn war sie rastlos und unglücklich, und die Sonne stieg immer höher. Colby war eine unabhängige Frau, und sie war sich nicht einmal sicher, ob sie ihn überhaupt mochte. Es verunsicherte sie, dass sie nicht aufhören konnte, an ihn zu denken, nach ihm zu verlangen und seine geistige Nähe zu suchen, und Rafael konnte nur hilflos in der Erde liegen, in dem Wissen, dass er zu Colbys Unbehagen beitrug. Nein, es war mehr als das; er war die einzige Ursache für ihr Unbehagen.
Er hatte sich nicht weit von Colbys Wohnhaus in die Erde zurückgezogen, um erste Schwingungen drohender Gefahr besser spüren zu können. In der letzten Nacht hatte er sich ihr so nahe gefühlt, als er neben ihr im Bett gelegen und ihren Atemzügen gelauscht hatte. Sie war so schön. Nicht nur ihr Körper, sondern auch ihr Herz und ihre Seele. Colby schien von innen heraus zu leuchten. Niemand von der Feuerwehr oder den anderen Männern, die zu Hilfe gekommen waren, hatte auch nur eine Sekunde lang geglaubt, sie könnte das Feuer wegen der Versicherungssumme selbst gelegt haben. Irgendetwas an Colby zog andere magisch an und bewirkte, dass sie an sie glaubten.
Er lag da, unfähig, auch nur einen Muskel zu rühren, und dachte über die Probleme nach, mit denen er sich konfrontiert sah. Er wollte nicht, dass Colby oben blieb, wo er sie nicht beschützen konnte. Er wollte bei ihr sein. Nein, er musste bei ihr sein. Er würde keinen weiteren Tag überstehen, an dem er vor lauter Angst, sie zu verlieren, keinen Schlaf finden konnte. Die Situation war untragbar. Er würde das bindende Ritual vollenden und Colby in seine Welt holen, auch wenn sie schrie und strampelte. Zum Teufel mit den Konsequenzen ! Colby gehörte zu ihm, sie war für ihn bestimmt, war seine andere Hälfte. Wenn sie erst einmal in Brasilien waren, würde er alles wiedergutmachen und ihre Liebe gewinnen. Sie würde für alle Zeit mit ihm verbunden sein. Für die Ewigkeit. Und sie würde nicht in der Lage sein, ihn zu verlassen, und lernen, ihr Schicksal zu akzeptieren.
Rafael versuchte, jeden Gedanken an Colby zu verdrängen, um sich in den heilenden Tiefschlaf seiner Art zu versetzen und seine ungeheure Kraft wiederzuerlangen. Er konnte Col-bys Herzschlag fühlen und spürte, wie sie da oben auf der Erde nach seiner beruhigenden Nähe suchte und versuchte, ihn geistig zu erreichen. Es war ihm gelungen, zwei Mal Blut mit ihr zu tauschen. Zum Teil gehörte sie bereits zu seiner Welt. Plötzlich erschrak Rafael. Ihre Haut würde sehr empfindlich auf die Sonne reagieren, und ihre Augen würden brennen und tränen.
Colby war es gewohnt, sich draußen im hellen Tageslicht aufzuhalten, und nicht daran zu denken, sich vor den Sonnenstrahlen zu schützen. Rafael strengte sich an, um an ihr Bewusstsein zu gelangen, teils, um ihr beizustehen, aber auch, um seine eigenen Sorgen zu beschwichtigen. Sofort spürte er ihre Schmerzen, das Brennen auf ihrer Haut und in ihren Augen. Sie war hungrig, hatte aber Probleme, etwas zu essen. Sie sehnte sich nach ihm, und dieses unerklärliche Bedürfnis verwirrte sie. Ein leiser Laut war zu hören, ein Stöhnen der Verzweiflung. Wie hatte er so egoistisch sein können? Er hatte nur an seine Wünsche und
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