Verführer der Nacht
lehnte sich an ihren Bruder, um sich von ihm ins Haus bringen zu lassen. »Sei nicht so unhöflich !« Colby vergrub ihr Gesicht in seinem Hemd und stolperte blindlings über den Hof. Hier, zu Hause, schienen ihre Augen noch mehr zu schmerzen, und sie wagte nicht, sie zu öffnen.
Ginny kam zu ihr gestürzt. »Was ist passiert? Du hast einen Sonnenbrand, Colby. Das sieht ja schlimm aus!« Sie hielt sofort ein Handtuch unter kaltes Wasser und drückte es ihrer Schwester in die Hand.
Colby legte den kühlen Stoff auf ihre Augen und ließ sich auf einen Stuhl sinken. »Nicht zu glauben, wie weh das tut. Ich war noch nie so froh, zu Hause zu sein.«
»Ich kann dich in die Stadt zum Arzt fahren«, bot Paul an.
Colby holte tief Luft und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich möchte mich einfach nur für eine Stunde oder so hinlegen.« Sie war erschöpft, und ihr Bedürfnis nach Schlaf war so stark, dass sie Angst hatte, gleich hier in der Küche einzuschlafen. Sie rieb sich die pochenden Schläfen. »Ich habe noch so viel zu tun.«
»Ich habe den Tierarzt angerufen«, berichtete Ginny. »Er kommt heute Nachmittag her. Die Hühner sind gefüttert, und der Garten ist gewässert. Der Mann von der Feuerwehr lässt jemanden kommen, um den Brand zu untersuchen. Paul hat alle Eigentümer der Pferde angerufen. Na ja, außer Shorty.«
Ginny zögerte einen Moment und sah zu ihrem Bruder. Colby war nie krank. Sie hatte sich schon häufig verletzt, aber sie war kaum jemals tagsüber zu Bett gegangen, nicht einmal, wenn es beim Kalben einer Kuh zu Schwierigkeiten gekommen war und sich die Geburt in die Länge gezogen hatte. »Ach ja, und ich habe Tanya Everett angerufen und sie gefragt, ob sie und ihre Mutter erst am Abend statt am Nachmittag kommen können.« Sie senkte den Kopf. »Ich wollte zuerst ganz absagen, aber sie klang so einsam, und ich dachte, ich könnte vielleicht mit ihr auf der Koppel reiten. Wenn du willst, dass ich das rückgängig mache, tue ich es, Colby.«
»Nein, natürlich nicht, Kleines.« Colby presste das feuchte Tuch fester auf ihr Gesicht, um irgendwie die brennende Hitze von ihrer Haut und ihren Augen zu nehmen. »Ich bin schrecklich müde und brauche wirklich ein paar Stunden Ruhe. Weckt ihr mich nachher?«
»Komm.« Paul half ihr auf und führte sie den Flur hinunter zu ihrem Zimmer. »Mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich schon um alles.«
Colby nahm das Tuch von ihren Augen, um zu ihrem Bruder zu spähen. Das Licht, das durchs Fenster fiel, schlug ihr erschreckend grell entgegen. Sofort kniff sie die Augen wieder zu und versteckte sie hinter dem kühlenden, feuchten Tuch. »Zieh bitte die Vorhänge zu, Paul.«
Ihr Bruder gehorchte und zog die schweren Vorhänge vor das Fenster, um den Raum zu verdunkeln. »Soll ich dich nicht doch lieber zum Arzt bringen, Colby? Vielleicht hast du dir bei dem Feuer Verbrennungen an den Augen zugezogen.« Er klang sehr jung und sehr ängstlich.
»Ich glaube, sie sind nur gereizt und empfindlich, Paul, und ich bin so müde.« Sie legte sich auf ihr Bett und tastete blind mit ihrer Hand nach ihm. »Ich muss mit dir über Juan und Julio Chevez sprechen. Sie bleiben hier, um dir zu helfen, und ich denke, da sie die Brüder unseres Vaters sind, solltest du ihnen gegenüber höflich sein. Andererseits, bei all den seltsamen Dingen, die hier vorgehen, kann es nicht schaden, die beiden im Auge zu behalten. Das meine ich ernst, Paul. Pass gut auf, dass Ginny und dir nichts passiert.« Sie warf sich unruhig hin und her, bis ihr Bruder sich vorbeugte und ihr das Seitenhalfter abnahm.
Colby konnte Rafael immer noch in ihrem Bettzeug riechen. Am liebsten hätte sie ihr Gesicht in den Kissen vergraben und seinen Duft tief eingeatmet.
»Ich glaube nicht, dass es der letzte Schrei ist, im Bett eine Waffe zu tragen. Wo hast du dein Gewehr gelassen?«, fragte Paul abrupt. Seine Schwester sah auf einmal sehr zerbrechlich aus.
»Im Sattelhalfter. Ich glaube, Juan hat das Pferd abgesattelt. Stell es in den Gewehrschrank zurück, Paul, und vergiss nicht, die Munition rauszunehmen.«
Ginny kam hereingestürzt und drängte Paul mit ihrer schmalen Hüfte beiseite. »Ich habe Aloe vera-Creme mitgebracht. Bleib einfach liegen, dann schmiere ich dich damit ein.« Sie warf Paul einen besorgten Blick zu. »Sie ist jetzt immer so müde, Paul. Glaubst du, sie ist krank? Colby hat gestern den ganzen Tag nichts gegessen und heute Morgen auch nicht. Sie hat nicht mal eine Tasse Tee
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