Verführer der Nacht
Gedanke an eine Ehe mit Rafael De La Cruz war beunruhigend. Er würde sie total beherrschen. Das erkannte sie an der Arroganz seiner Züge und der Glut in seinen schwerlidrigen, dunklen Augen. Für sie gab es keine Möglichkeit, sich gegen die Macht zu wehren, die er über sie hatte. Colby hatte immer noch nicht die Augen geöffnet und wollte es auch nicht. »Hat er mit dir gesprochen?«
»Nur heute Morgen in der Küche, als mich alle angeschaut haben und ich solche Angst hatte. Er war sehr nett zu mir. Er hat über Dad geredet und darüber, wie Dad war, als er klein war. Und er hat gesagt, dass du nicht sehr schlimm verletzt bist und ich mir keine Sorgen machen soll, weil sich alles wieder hinbiegen lässt. Er findet dich übrigens schön.« Ginny klammerte sich an Colbys Hand. »Ich habe mich bei ihm sicher gefühlt und fand es toll, dass er sich vor mich gestellt hat, damit keiner sehen konnte, dass ich weine.«
»Das war sehr nett von ihm. Rafael scheint heute überall gewesen zu sein. Er hat das Feuer bekämpft, die Pferde behandelt, mir geholfen, und jetzt erfahre ich, dass er sich auch noch um dich gekümmert hat.« Colbys Stimme klang weit entfernt, als würde sie wieder einschlafen. Sie drehte ihr Gesicht in das kühle Kissen, atmete Rafaels Duft ein und legte eine Hand auf das Mal an ihrem Hals.
»Er hat gesagt, dass es nicht meine Schuld ist und dass ich mit dir reden soll«, erklärte Ginny.
»Er hat recht, Süße, es war nicht deine Schuld. Ich bin froh, dass du den Hund hereingerufen hast. Ab jetzt holst du King jede Nacht ins Haus und lässt ihn bei dir schlafen. Ginny? Ich bin wirklich todmüde, Liebes. Ich muss schlafen.«
»Magst du ihn?«
»Wen?«, murmelte Colby die allmählich in Schlaf sank.
»Rafael. Magst du ihn?«
Colby lächelte wieder. »Nein.« Ihre Stimme war weich und sinnlich.
Ginny kuschelte sich mit einem erfreuten Lächeln an ihre Schwester. »Doch, du magst ihn, das merke ich an deiner Stimme.«
Kapitel 8
D ie Sonne ging langsam hinter den Bergen unter, und unheilverkündende, dunkle Wolken begannen am Himmel zu treiben, der in lebhaftem Rot und Orange erstrahlte, als stünde er in Flammen. Tief unter der Erde fing ein Herz an zu schlagen, und Rafael erwachte, indem er die Augen aufschlug und seinen ersten Atemzug mit einem langen, zornigen Zischen entweichen ließ. Irgendwo über ihm hatte ihn Colbys Kummer aus seinem heilenden Schlaf geweckt. Sie kämpfte mit den Tränen, war völlig durcheinander und verängstigt.
Rafael überprüfte seine Umgebung, um sich zu vergewissern, dass niemand in der Nähe war, als er aus dem Boden brach und dabei Erdbrocken in die Luft schleuderte wie ein Geysir. Er erhob sich in die Lüfte, indem er beim Aufsteigen die Gestalt der gewaltigen Harpyie annahm. Mit weit ausgebreiteten Flügeln stieg er immer höher auf, dankbar für die dichten Wolken, die seine empfindlichen Augen schützten, und kreiste über der Ranch, um die Gegend sorgfältig nach potenziellen Gefahren abzusuchen.
Auf der Ranch schien alles ruhig zu sein, aber er wusste, dass Juan einen Stier gefunden hatte, der erst vor Kurzem getötet worden war. Das Tier war brutal abgeschlachtet und in eine Wasserstelle geschleppt worden. Rafael hatte diese Information Colbys Bewusstsein entnommen. Er las in den Gedanken von Paul, der auf der Veranda stand, den blutroten Sonnenuntergang betrachtete und mit seiner Schwester redete. Im Körper des riesigen Adlers flog Rafael immer höher und belauschte ungeniert jedes Wort der Unterhaltung, die unter ihm stattfand, während er mit seinen scharfen Augen alle Bewegungen auf dem Boden verfolgte, um etwaige verborgene Bedrohungen für seine Gefährtin zu entdecken.
»Warst du dabei, als Juan den Stier fand?«, wollte Colby wissen. »Wie lange war er außerhalb deines Blickfelds?« Sie kämpfte immer noch gegen die Nachwirkungen des Schlafs und strengte sich an, wach zu werden und jedes Detail der erschütternden Neuigkeit mitzubekommen.
»Der Zaun auf dem Feld war eingebrochen, Colby«, erwiderte Paul. Seine junge Stimme klang müde. »Ich habe Juan gesagt, dass ich das allein reparieren kann. Die beiden arbeiten schnell und wissen, was sie tun. Ich wollte, dass du dich richtig ausschläfst, und dachte, wir könnten mehr schaffen, wenn wir uns aufteilen. Du hast mir aufgetragen, die zwei im Auge zu behalten, ich weiß, doch ich habe fast den ganzen Tag mit ihnen gearbeitet, und ich ...« Er brach ab. »Tut mir leid, Colby.«
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