Verführer oder Gentleman? (German Edition)
ihrem Anblick. In ihrer unbekümmerten Unschuld merkte sie das nicht, was ihre Anziehungskraft verstärkte.
Minutenlang stand Juliet hinter dem Tisch und starrte auf die geschlossene Tür – unfähig zu begreifen, was den Duke so maßlos erzürnt hatte. Er war ein energischer Mann, der, so vermutete sie, durchaus auch gnadenlos sein konnte. Das konnten seine attraktive äußere Erscheinung und sein Charme nicht verhehlen. Diese Wesenszüge drückten sich im harten Glanz seiner Augen aus, im markanten Kinn, in zusammengepressten Lippen.
Vielleicht vermochte er es, zahlreiche Frauen zu betören, indem er einfach nur eine wohlgeformte schwarze Braue hob oder die ebenmäßigen schneeweißen Zähne blitzen ließ. Aber Juliet bezweifelte nicht, dass er skrupellos vorgehen würde, sobald es eine Situation verlangte.
Noch immer erbost, ärgerte sie sich vor allem über die Wirkung, die er auf sie ausübte. Wie konnte er es wagen, so machtvoll in ihre Seele einzudringen – in ihr Leben? Hatte sie nicht schon genug Sorgen, auch ohne diese neue Bedrohung? Eben erst hatte sie eine neue Stellung gefunden und hoffte, genug Geld zu verdienen, damit sie ihrem Bruder Robby helfen konnte. Sir John hatte ihr trotz ihrer harten Arbeit zu wenig bezahlt. Nun musste sie sich noch mindestens sechs Monate lang anstrengen. Und dieser attraktive, arrogante Aristokrat mit den Silberaugen, der sich einen Weg in ihr Herz erzwungen hatte, würde ihr die Mühe sicher nicht erleichtern.
Nach Sir Charles Sedgwicks Besuch war es unvermeidlich, dass die Bewohner aller Herrschaftshäuser in der Gegend von der schönen neuen Angestellten des Duke of Hawksfield erfuhren. Immer eifriger wurde getuschelt. Gewisse Anspielungen sprachen sich herum. Ständig fanden sich Freunde und Nachbarn des Herzogs in Lansdowne House ein und hofften, einen Blick auf die junge Dame zu erhaschen. Doch sie wurden enttäuscht. Seit jenem Ausflug mit Dolly zum Weizenfeld blieb Juliet stets in der Bibliothek.
Nur der übermütige Sir Charles bildete eine Ausnahme. Neuerdings tauchte er öfter denn je in Lansdowne House auf. Und jedes Mal erschien er in der Bibliothek, ein charmantes Lächeln auf den Lippen, einen schurkischen Glanz in den Augen, obwohl er im Grunde kein Schurke war, nur verwöhnt und ziemlich skrupellos. Er besaß zu viel Geld und sah zu gut aus. Von allem hatte er zu viel, und er glaubte, die Welt wäre ihm Ehrerbietung und Huldigungen schuldig. Deshalb wünschte Juliet, er würde sich endlich bessern und wie ein erwachsener Gentleman benehmen.
Mit seinen Besuchen erregte er unweigerlich den Unmut des Dukes. Aber Dominic konnte nichts unternehmen und ihm höchstens das Haus verbieten, was das Ende ihrer Freundschaft bedeutet hätte.
Als ein Brief für Juliet in Lansdowne House eintraf, las sie ihn erstaunt und erfreut, aber auch voller Sorge. Robby war aus dem Fleet-Gefängnis entlassen worden und nach Brentwood gefahren. Nun wollte er sie an diesem Nachmittag sehen.
Warum hatte man ihn freigelassen?
Dominic, der in Brentwood einen Bekannten besuchen wollte, stieg aus seiner Kutsche. Dabei fiel ihm eine junge Frau auf. Sie eilte die Straße entlang, und in der warmen Sommerluft übertönte ihr Gelächter das Stimmengewirr der Menschenmenge.
Verwirrt hielt er inne, nachdem er die junge Dame erkannt hatte. Guter Gott, sie rannte geradezu. Die sittsame, respektable Miss Lockwood stürmte dahin, das Haar offen, den Hut, der an einem Band um ihren Hals hing, auf dem Rücken. Mit langen Schritten ging ihr ein großer, schlanker junger Mann entgegen. Als er sie erreichte, umschlang er sie mit beiden Armen, hob sie hoch, und sie schmiegte sich zärtlich an ihn.
Dominic wurde von einem Gefühl erfasst, das er nicht kannte und das in einem Teil seines Körpers entstand, wo er sein Herz vermutete. Um seine Lippen bildeten sich weiße Linien, der Schimmer in seinen Augen glich einem eisigen Winterhimmel. Am liebsten wäre er zu den beiden gelaufen, um sie auseinanderzuzerren, um den jungen Mann von dem schönen, lachenden Mädchen wegzureißen und niederzuschlagen.
Wie konnte der Kerl es wagen, etwas anzurühren, das dem Duke of Hawksfield gehören müsste?
Mit bebenden Fingern strich er sich das Haar aus der Stirn und versuchte sich zu beruhigen. Um Himmels willen, was stimmte denn nicht mit ihm? Warum ließ er sich dermaßen von einer Frau verwirren? Und wer war der Mann, der Miss Lockwood so vertraut begegnete?
Hastig wandte Dominic sich ab, stieg in
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