Verführer oder Gentleman? (German Edition)
erklärte, stammten die Leute aus dem Dorf. Sie besaßen keine eigenen Äcker. Auf diese Weise konnten sie nun genug Weizen ergattern und ihre Familien eine Zeit lang ernähren.
Ein paar Tage später erschienen alle Dorfbewohner in Farmer Shepherds Hof. Lachende junge Mädchen trugen Strohhüte mit Blumenkränzen. Auch die kräftigen Ackergäule waren mit Blumen geschmückt, und die Männer, tief gebräunt von der sommerlichen Arbeit, führten die Wagen in den Hof.
Der Duke of Hawksfield wartete am Tor und hieß die Ernte willkommen. In einer schwarzen Kniehose mit passendem Rock, einer weißen Seidenweste über einem weißen Hemd mit edlem Krawattentuch sah er sehr imposant aus.
In Farmer Shepherds großer strohgedeckter Scheune standen Fässer mit Ale und Apfelwein an der Wand gegenüber dem Doppeltor. Die Frauen bereiteten das Festmahl vor. Obwohl Juliet die Einladung des Dukes zu diesem Fest bereits angenommen hatte, war sie nicht sicher gewesen, ob sie wirklich mit all den Leuten feiern sollte. Dazu hatte Dolly sie erst noch überreden müssen.
Bald ließ Juliet sich von der allgemeinen Fröhlichkeit anstecken. Beeindruckt musterte sie die langen, auf Böcke gelegten Tischplatten, die unter dem Gewicht der Speisen zu ächzen schienen. Da gab es verschiedene Braten, Fleischpasteten, Obsttorten und dampfende Plumpuddings. Erstaunt beobachtete sie ihren Arbeitgeber, der sich eine Schürze umgebunden hatte und ein großes Rindslendenstück anschnitt. Unterdessen verteilten die Dienstboten üppig gefüllte Teller an die Gäste und schenkten ihnen Ale oder Apfelwein ein.
Die Frauen trugen ihre Sonntagskleider, die Männer saubere weiße Hemden, die Gesichter von bester Gesundheit und harter Arbeit gerötet. Mittlerweile hatten sie an den Tischen Platz genommen, lachten und scherzten, erzählten alte Geschichten und sangen traditionelle Lieder. Die Dorfkapelle musizierte mit Flöten, Geigen und Trommeln.
Am Kopfende eines Tisches in der Mitte des Raumes saß der Duke zwischen Farmer Shepherd, dem Bürgermeister und dessen Ehefrau.
Nachdem die Teller geleert waren, begann das Tanzfest. In übermütiger Stimmung ließ Dolly keinen einzigen Tanz aus. Energisch zerrte sie eine protestierende, aber lachende Juliet auf die Tanzfläche.
Während Juliet im schnellen Rhythmus eines Volkstanzes umhergewirbelt wurde, sah sie den Duke in einer Ecke der Scheune stehen, wo er mit Bekannten sprach. Manchmal begegnete sie seinem Blick und bemerkte einen nachdenklichen Ausdruck in seinen Augen.
Erst viel später – das Fest näherte sich bereits dem Ende – ging Dominic zu Juliet.
„Darf ich um diesen Tanz bitten, Miss Lockwood?“
Dagegen hatte sie nichts einzuwenden. „Ja, natürlich.“
Alle Anwesenden beobachteten, wie er mit ihr die Tanzfläche betrat. Noch nie hatten sie den Duke tanzen gesehen, und übereinstimmend fanden sie, Seine Gnaden und Miss Lockwood in ihrem dunkelrosa Kleid gäben ein sehr schönes Paar ab. Sie tanzten einen Walzer, der besser zur spätabendlichen Stimmung passte als die derben Volkstänze, und die Kapelle übertraf sich selbst.
Herzbewegend schwoll die Musik immer wieder an und verebbte, erfüllte die Scheune mit einer Schönheit, fast greifbar und so bezaubernd wie der Blumenschmuck an den Wänden. Dominic schaute Juliet lächelnd in die Augen. „Wieso zittern Sie, Miss Lockwood? Was beunruhigt Sie denn?“
„Meine Nerven flattern“, gestand sie. „Kein Wunder, wenn uns all die Leute anstarren … Vielleicht werde ich stolpern und auf die Nase fallen. Dann werden sie mich auslachen und sagen, es würde mir recht geschehen, nachdem ich so anmaßend war.“
„Anmaßend? Warum könnte man Ihnen das vorwerfen?“
„Weil ich mich bereit erklärt habe, mit dem Duke zu tanzen.“
„Darum bat ich Sie, und mein Beweggrund ist einzig und allein meine Sache. Sollen die Leute doch glauben, was sie wollen! Das interessiert mich nicht.“
„Obwohl ich womöglich straucheln und stürzen werde?“
„Das wird nicht passieren, solange ich Sie festhalte.“
„Als Ihre Tanzpartnerin errege ich allgemeine Aufmerksamkeit, Lord Lansdowne. Wie Dolly mir verraten hat, tanzen Sie nie auf den Erntedankfesten.“
„Offenbar redet sie zu viel. Was sie Ihnen erzählt, dürfen Sie nicht so ernst nehmen.“
„Ich mag sie sehr gern. Gewiss, sie schwatzt in einem fort. Trotzdem meint sie es gut. Und ihre Worte klingen meistens sehr vernünftig. Außerdem hat sie sich wirklich bemüht,
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