Verführer oder Gentleman? (German Edition)
wegzuwaschen. Noch immer haftet er in einigen Kleidern, in meinen Haaren … Weiß dein Arbeitgeber Bescheid über mich?“
„Nur dass ich einen Bruder habe …“
„Aber meinen Aufenthalt im Fleet hast du nicht erwähnt?“
„Nein, das konnte ich nicht.“
„Dann solltest du es auch weiterhin verschweigen“, meinte er. „Ich habe dich um ein Treffen in dieser Stadt gebeten, weil ich dich womöglich in Verlegenheit bringen würde, wenn ich dich in Lansdowne House besuchte. Arbeitest du gern für den Duke?“
„O ja. Er besucht mich sehr oft in der Bibliothek und erkundigt sich nach meinen Fortschritten. Ansonsten sehe ich ihn nur selten.“
„Das beruhigt mich. Da ich seinen schlechten Ruf kenne, hatte ich Angst um dich.“
„Dafür gibt es wirklich keinen Grund, Robby. Außerdem werde ich nicht allzu lange in Lansdowne House bleiben. Die Arbeit ist nicht annähernd so zeitraubend, wie ich anfangs dachte. In zwei Monaten müsste ich sie beenden.“
„Und was dann?“
„Oh, ich werde eine neue Stellung finden.“
„Warum schreibst du deinem Großvater nicht, Juliet?“
Die Frage traf sie wie ein Keulenschlag, und ihr Lächeln erlosch. „Das weißt du – dazu kann ich mich nicht aufraffen, nachdem er meine Mutter so schändlich behandelt hat.“
„Als sie mit meinem Vater durchbrannte, war dein Großvater völlig verzweifelt. Wahrscheinlich ist er jetzt ein einsamer alter Mann, der den Zwist zutiefst bedauert.“
Alles in ihrem Innern sträubte sich gegen den Gedanken einer Versöhnung mit ihrem Großvater. Robbys Worte erinnerten sie an den schrecklichen Tag, an dem ihre Mutter gestorben war. Nachdem ihr Vater den Earl of Fairfax über den Tod seiner Tochter informiert hatte, war ein Brief vom Anwalt des alten Gentleman eingetroffen. Darin stand, für den Earl sei die Tochter bereits tot gewesen, seit sie sein Haus verlassen habe.
„Mein Vater schrieb ihm, meine Mutter sei gestorben“, sagte Juliet leise. „Daraufhin erhielt er eine nüchterne Nachricht vom Anwalt des Earls. Also hat sich mein Großvater nicht einmal die Mühe gemacht, selber die Feder zu ergreifen. Nein, ich werde keine Verbindung mit ihm aufnehmen.“
„Nur deinem Vater hat er gezürnt“, betonte Robby. „Du bist seine Enkelin und seine legitime Erbin. Gibt es noch jemanden, dem er sein Vermögen hinterlassen könnte?“
Gleichmütig zuckte sie die Achseln. „Keine Ahnung, das ist mir egal. Ich will sein Geld nicht. Bisher bin ich sehr gut ohne seine Unterstützung zurechtgekommen.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln und ergriff seine Hand. „Wann fährst du nach New York, Robby?“
„Gegen Ende des Sommers. Für die nächsten zwei Wochen habe ich eine Unterkunft hier in der Nähe gefunden, weil ich dich vor meiner Abreise möglichst oft sehen will. Wenn du dir die Zeit nehmen kannst …“
„Ich habe fast jeden Tag länger als nötig gearbeitet. Deshalb darf ich mir ein paar Stunden freinehmen. Vielleicht treffen wir uns übermorgen.“
„Gut. Mach dir keine Sorgen um mich, ich habe dir schon genug Kummer bereitet – meine tapfere, standhafte kleine Schwester.“
Arm in Arm schlenderten sie den Weg zurück, den sie gekommen waren.
Als Thomas Howard die beiden Geschwister entdeckte, zügelte er abrupt sein Pferd.
„Großer Gott!“, rief er und bewog seine Schwester, die an seiner Seite ritt, ebenfalls anzuhalten.
„Was ist denn los?“, fragte Geraldine.
„Ich glaube, das ist Robert Lockwood.“
„Kennst du ihn?“
„Nicht persönlich. Aber ich habe ihn oft genug in den Londoner Spielhöllen gesehen. Dort trieb er sich mit seinen Kumpanen herum. Ich wollte nichts mit ihm zu tun haben. Wenn ich mich recht entsinne, saß er eine Zeit lang im Fleet … Dass er mit der hübschen Miss Lockwood verwandt ist, wusste ich nicht.“
In Geraldine Howards Augen blitzte plötzliches Interesse auf. Verächtlich musterte sie das Paar, das vorbeiwanderte und die prüfenden Blicke nicht zu bemerken schien. Ein dünnes Lächeln verzog ihre Lippen.
Also war Miss Lockwoods Bruder im Gefängnis gewesen. Wusste Dominic darüber Bescheid?
Die Weizengarben wurden auf Wagen, von kräftigen Ackergäulen gezogen, zu Farmer Shepherds Hof vor dem Heuschober befördert. Fasziniert beobachtete Juliet die blau, rot und gelb gestrichenen Lastkarren.
Nachdem die letzte Erntefracht eingebracht war, eilten Frauen und Kinder auf das Feld. Juliet schaute ihnen zu, während sie verstreute Ähren einsammelten.
Wie Dolly
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