Verführer oder Gentleman? (German Edition)
fest. Er war ein ausgezeichneter Tänzer. Jeden einzelnen Schritt vollführte er mit geschmeidiger Perfektion. Nach einiger Zeit schien sich die Scheune um Juliet zu drehen, die Leute verschwammen in einem bunten Nebel. Den Kopf erhoben, genoss sie die magischen Momente, die Nähe des Mannes, der sie im Arm hielt. Sie empfand seltsame, aber irgendwie aufregende Schwindelgefühle, eine ungewohnte Heiterkeit. Vielleicht hatte sie zu viel Apfelwein getrunken.
Langsam verzogen sich Dominics Lippen zu jenem bereits vertrauten Lächeln, der herausfordernde Glanz in seinen Silberaugen wirkte intensiver denn je. Behutsam, aber mit fester Hand wirbelte er sie herum. Die provozierende Art und Weise, wie er ihr Gesicht und ihren Mund betrachtete, war unmissverständlich.
Mit großen dunklen Augen erwiderte sie seinen Blick, die Lippen leicht geöffnet. Bisher hatte sie sich eingeredet, das freimütige, vertrauliche Gespräch am Rand des Weizenfelds wäre nichts Besonderes gewesen und sie hätte zu viel hineingeheimnisst. Jedenfalls hatte sich diese offenherzige Unterhaltung zwischen einem Duke und einer Person von niedrigerem Stand nicht geschickt. Doch in dieser Nacht knisterte die Intimität noch stärker.
Obwohl sie sich bemühte, kühl und distanziert zu bleiben, pochte ihr Herz immer schneller, im unkontrollierbaren Rhythmus wachsender Erregung. Flirtete der Duke tatsächlich mit ihr? Mit keinem Wort hatte er das angedeutet. Aber der Ausdruck in seinen Augen erschien ihr viel zu kühn. In seinen Armen spürte sie eine virile Kraft. Einerseits jagte er ihr Angst ein, andererseits entfachte er eine betörende Freude in ihrer Brust.
4. KAPITEL
I m Stall verbreiteten Laternen ein heimeliges, schwaches orangegelbes Licht. Als Juliet und Dominic eintraten, wehte ihnen ein angenehmer, erdhafter Geruch von frischem Stroh und Getreide entgegen. Schleierhafte Schatten erfüllten den Raum mit einer ruhigen, träumerischen Atmosphäre. Neben der Tür kauerten ein paar braun und weiß gefleckte Hühner in einem Heuhaufen und gackerten empört. Aber sie fanden ihr weiches Nest zu gemütlich, um zu fliehen.
Die große kastanienbraune Stute, die ein Fohlen zur Welt bringen würde, lag keuchend im Stroh, wandte ihren Kopf zu den Neuankömmlingen und gönnte ihnen nur einen flüchtigen Blick. An ihrer Seite kniete ein Stallknecht, die Ärmel seines Hemds hochgekrempelt, das schweißnass an seinem Rücken klebte.
„Guten Abend, Ben“, grüßte der Duke, zog seinen Rock aus und warf ihn über das Gatter der Stallbox. „Wie sieht es aus?“
Ben nickte ihm zu, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf das gepeinigte Tier lenkte. „Gleich ist es so weit, Euer Gnaden.“
Angesichts des Wunders, das sie gemeinsam erleben würden, waren alle Standesunterschiede völlig vergessen. Die Arme auf das Gatter gestützt, beobachtete Juliet die faszinierende Szene.
Der Duke kniete neben Ben nieder und inspizierte das ächzende Pferd, dann schaute er lächelnd zu Juliet auf. „Offenbar sind wir gerade zur rechten Zeit hierhergekommen, Miss Lockwood. In fünf Minuten ist die Geburt geschafft.“
Jetzt betrachtete sie nicht mehr die Stute, sondern deren Besitzer. Der Laternenschein verwandelte sein Haar in schimmerndes Ebenholz, die Augen in flüssiges Silber und ließ die harten Kanten seiner Gesichtszüge weicher erscheinen.
Während er dem Stallknecht half, das Fohlen ans Licht der Welt zu befördern, murmelte er sanfte, beruhigende, ermutigende Worte und streichelte die Flanken der Mutterstute.
Allmählich tauchte das winzige Pferd auf. Juliet beobachtete voller Staunen den Kopf, dem zwei Vorderfüße folgten. Dann erschienen der Brustkorb, der Leib und die Hinterbeine. Entzückt hielt sie den Atem an und betrachtete mit glänzenden Augen das Fohlen – einen Hengst zur Freude der beiden Männer.
Nachdem sie sich kurz erholt hatte, erhob sich die Mutter, getrieben von ihrem Beschützerinstinkt, und leckte das Fohlen ab, bis es sauber und beinahe trocken war. Das hingerissene menschliche Publikum störte sie nicht im Geringsten.
Dann versuchte das Neugeborene aufzustehen. Die dünnen Beinchen rutschten mehrmals aus. Benommen schwankte es, aber schließlich erlangte es sein Gleichgewicht und fand seinen Weg zu den Zitzen der Stute. Sein Körper wies bereits die ersten Merkmale der muskulösen Perfektion auf, die seine Mutter auszeichnete. Auch die großen freundlichen Augen mit den langen braunen Wimpern hatte das Fohlen geerbt.
Juliet
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