Verführer oder Gentleman? (German Edition)
konnte sie ihren Blick unbemerkt über seine breiten Schultern und die kraftvollen, übereinandergeschlagenen Beine wandern lassen. Unwillkürlich verspürte sie den Wunsch, eine Hand auszustrecken und ihn zu berühren. Dieser skandalöse Impuls erschreckte sie. Doch das hinderte sie nicht daran, sein Profil zu bewundern. Das Licht der untergehenden Sonne vergoldete seine markanten Züge, die Adlernase, die seine aristokratische Ausstrahlung betonte und ihm die Aura einer intensiven Energie verlieh. Zweifellos – mit dem pechschwarzen Haar und den silbergrauen Augen war er der attraktivste Mann, den sie jemals gesehen hatte.
Lady Pemberton wohnte nicht weit entfernt. Nach einer kurzen Fahrt erreichten sie das stattliche, von gepflegten Gärten umgebene Landhaus. Dahinter erstreckten sich Wiesen und Felder.
Sie verließen die Kutsche und begaben sich in die Halle, in der zahlreiche elegant gekleidete Gäste umherschlenderten.
Mit einem tiefen Atemzug bekämpfte Juliet ihre Nervosität. „Was für eine Versammlung …“, murmelte sie.
„Beruhigen Sie sich“, mahnte Dominic, „Cordelia und ich werden Sie beschützen.“
„Aber Sie wollten gehen …“
„Ach, jetzt fühle ich mich versucht, eine Weile hierzubleiben“, gestand er und musterte sie lächelnd. „Die Gesellschaft ist ganz nach meinem Geschmack. Kommen Sie.“ Ermutigend zwinkerte er ihr zu. „Begrüßen wir meine Schwester.“
Seite an Seite betraten sie den luxuriös eingerichteten Salon, wo Lady Pemberton von mehreren Gästen umringt wurde. Juliet versuchte, ihr Interesse auf den schönen Raum zu konzentrieren. Doch ihr Unbehagen wuchs, denn sie spürte die Aufmerksamkeit, die sie zusammen mit ihrem illustren Begleiter erregte. Tapfer begegnete sie den neugierigen Blicken mit einem höflichen Lächeln.
Eine junge Dame eilte zu ihnen – Geraldine, die boshafte Schwester Thomas Howards. In himmelblauer Seide war sie so schön, wie Juliet sie in Erinnerung hatte – aber sie wirkte auch genauso arrogant und verächtlich wie an jenem unglückseligen Abend. Mit widerstrebender Anerkennung musterte sie die Frau, die für den Duke arbeitete.
Trotz der Eiseskälte in den blauen Augen neigte Juliet den Kopf, um sie zu begrüßen, was Miss Howard mit einem knappen Nicken quittierte. Denn sie erkannte einen Niemand, wann immer sie einen sah. Außerdem beachtete man Dienstboten nur, wenn man ihnen Befehle erteilen wollte.
„So begegnen wir uns also wieder, Miss Lockwood.“ Bei dieser Gelegenheit machte sie eine Ausnahme von der Regel, ohne ihre Feindseligkeit und Geringschätzung zu verbergen. „Wie ich sehe, sind Sie heute etwas besser ausstaffiert als bei Ihrer Ankunft in Lansdowne House.“
„Kein Wunder“, erwiderte Juliet und ärgerte sich über ihre zitternde Stimme. „Damals musste ich an einem regnerischen Abend eine lange Reise verkraften.“
Nun schweifte Geraldines Blick zu Lansdowne, und sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Guten Abend, Dominic. Hast du schon gemerkt, wie fasziniert Charles von deiner Angestellten ist? Seit er dich besucht und Miss Lockwood getroffen hat, singt er unablässig enthusiastische Loblieder auf diese Person.“
„Als ein Mann, der weibliche Schönheit schon immer zu schätzen wusste, darf ich ihm das nicht verübeln, Geraldine.“
„Sei bloß vorsichtig!“, warnte sie ihn. „Falls man den Klatschgeschichten glauben kann, beeindruckt Miss Lockwood dich genauso. Aus welchem anderen Grund solltest du dich mit einer deiner Arbeitskräfte in der gehobenen Gesellschaft zeigen? Das geziemt sich nicht, und du wirst unangenehmes Gerede heraufbeschwören.“
Mit diesem bissigen Kommentar verfehlte sie die beabsichtigte Wirkung auf Dominic. Normalerweise würde er sich eine solche Beleidigung in schroffem Ton verbitten. Stattdessen schaute er Juliet an und lächelte.
„Wäre das was Neues? An Klatsch und Tratsch bin ich längst gewöhnt. Das weißt du, Geraldine.“
„Miss Howard …“, mischte Juliet sich ein – außerstande, angesichts dieser krassen Unhöflichkeit den Mund zu halten. „Was mich betrifft, versichere ich Ihnen, dass Seine Gnaden die Grenzen der Schicklichkeit niemals überschritten hat.“
„Oh, Sie verteidigen ihn wie die loyale Dienstbotin, die Sie nun einmal sind, Miss Lockwood“, höhnte Geraldine. „Was für eine Impertinenz!“
„Seit wann ist es impertinent, die Wahrheit auszusprechen?“, konterte Juliet.
Empört zuckte Geraldine zusammen. „Von Ihnen
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