Verführer oder Gentleman? (German Edition)
erschüttert von Miss Howards unvermuteter Enthüllung, spürte Juliet, wie ihr Herz sich schmerzhaft zusammenkrampfte. Voller Angst, verwirrt und fassungslos erwiderte sie den bohrenden Blick des Dukes.
„Stimmt das?“, fragte Dominic in stahlhartem Ton.
„Ja – aber deshalb ist er noch lange kein Dieb.“ Nachdem sie ihren ersten Schrecken überwunden hatte, tat sie ihr Bestes, um ihren Bruder zu verteidigen. „Wegen seiner Schulden saß er hinter Gittern – nicht wegen eines Diebstahls.“ Entrüstet wandte sie sich zu Miss Howard. „Wie können Sie es wagen, auch nur anzudeuten, Robby hätte die Miniaturen entwendet?“
Gleichgültig zuckte Geraldine die Achseln. „Ich wage und sage, was ich will, Miss Lockwood. Und Ihr Bruder hatte eine günstige Gelegenheit, die Bildchen aus der Vitrine zu nehmen. Wie mich entsinne, war er allein, als ich gestern die Bibliothek betrat.“
„Doch Sie haben ihn nicht auf frischer Tat ertappt, Miss Howard, oder?“
„Nein. Trotzdem war die Situation verdächtig. Das müssen Sie zugeben.“
Juliet beobachtete, wie selbstgefällig Geraldine ihre Lippen zu einem Lächeln verzog, las unverhohlene Heimtücke in den blauen Augen – und sah rote Flecken auf den hohen Wangenknochen.
Ist es möglich? Juliet holte tief Luft.
„Soweit ich mich erinnere, waren auch Sie eine Zeit lang allein in der Bibliothek, Miss Howard, während ich meinen Bruder zur Haustür begleitete. Bei meiner Rückkehr standen Sie direkt vor der Vitrine.“
„Behaupten Sie etwa, ich hätte die Miniaturen genommen, Miss Lockwood?“, fauchte Geraldine, und ihre Züge verkniffen sich. „Wenn ja, wäre es ungeheuerlich – und nicht zu ertragen!“
„Oh, ich stelle nur fest, auch Sie hätten eine Gelegenheit gefunden, die Aquarelle zu entwenden. Immerhin hielt ich mich lange genug in der Eingangshalle auf und verabschiedete mich von Robby.“
Um ihre plötzliche Nervosität zu verbergen, brach Geraldine in perlendes Gelächter aus. „Welch ein Unsinn! Aus welchem Grund hätte ich mir die Miniaturen aneignen sollen? Dominics Mutter hat sie gemalt, die verstorbene Duchess. Nur für die Familie sind sie kostbar. Aber ein Außenseiter würde das nicht wissen und könnte die Bildchen für wertvoll halten.“
„Wohl kaum“, widersprach Juliet.
In ihrem eifrigen Bestreben, Sir Charles Sedgwick für sich zu gewinnen, war Miss Howard skrupellos, und sie würde jede Frau verunglimpfen und sogar in den Ruin treiben, die sie auf dem Weg zu diesem Ziel behinderte. Für sie bildete Miss Lockwood trotz ihrer vermeintlichen niedrigen Herkunft keine Ausnahme, denn sie weckte das Interesse des begehrten Mannes.
Und so ahnte Juliet, dass die verwöhnte junge Dame vor nichts zurückschrecken würde, um sie vor ihrem Arbeitgeber anzuschwärzen, der sie entlassen und aus Sir Charles’ Blickfeld entfernen sollte. Diese niederträchtige Intrige würde auch dem geliebten Bruder schaden.
Entschlossen straffte Juliet die Schultern und drehte sich zu Lord Lansdowne um. „Bitte, glauben Sie mir. Niemals würde mein Bruder einen Diebstahl verüben. Gewiss, er hat einige Zeit im Fleet-Gefängnis verbracht – nur wegen seiner Schulden, die jetzt beglichen sind …“ Dann verstummte sie hilflos. Irgendwie gewann sie den Eindruck, sie wäre in einen Kampf verstrickt worden, dessen Regeln ihr niemand erklärt hatte. Sie sagte die Wahrheit, Robby war kein Dieb. Aber wie sollte sie Dominic davon überzeugen?
„Wie auch immer“, zischte Geraldine, „Sie können die Unschuld Ihres Bruders nicht beweisen. Wenn er ein Dieb ist, wird das Gesetz so mit ihm verfahren, wie er es verdient. Und wenn das Gericht ihn für schuldig erklärt, wird es ihn zum Tod am Galgen verurteilen.“
Von qualvoller Panik ergriffen, begann Juliet am ganzen Körper zu zittern. Jedes einzelne der grausamen Worte traf sie wie ein Dolchstoß mitten ins Herz. „Nein, lieber Gott, nein – nicht für ein Verbrechen, das er keinesfalls begangen hat …“
„Sobald seine Schuld erwiesen ist, werden Sie mehr als ein Gebet brauchen, um ihn zu retten“, spottete Geraldine.
„Obwohl ich freimütig zugebe, dass mein Bruder nicht den allerbesten Ruf genießt und sein Verhalten oft zu wünschen übrig ließ – es steht Ihnen nicht zu, ihn zu verdammen, Miss Howard.“
Nun ergriff Thomas das Wort. „Geraldine!“, mahnte er mit schneidender Stimme. „Musst du die arme junge Dame halb zu Tode erschrecken? Miss Lockwood, ich entschuldige mich
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