Verführer oder Gentleman? (German Edition)
eine so schreckliche Wende ein? Sie musste mit neuen Tränen kämpfen. „Niemals würde er etwas tun, das seine Karriere bedroht. Und ich schwöre dir, er hat keinen einzigen Diebstahl begangen. Er ist sehr emotional, Beleidigungen würden ihn zutiefst verletzen.“
„Bitte, Juliet …“ Ihr Kummer bewegte sein Herz. Um sie zu beruhigen, griff er nach ihrer Schulter.
„Bitte, rühr mich nicht an!“, stieß sie hervor und schlug seine Hand weg,
„Reg dich nicht so auf. Das alles verstehe ich, und es tut mir leid, wenn ich hart und selbstgerecht sprach …“
„ Du verstehst es?“, unterbrach sie ihn bitter und verächtlich. „Wie kann jemand wie du verstehen, was ich empfinde?“ Anklagend schaute sie zu ihm auf. „Was mein Bruder fühlen würde, wenn man ihn zu Unrecht beschuldigt?“ Nach einer kurzen Pause fuhr sie in sanfterem Ton fort: „Ich flehe dich an, vertrau meinem Wort.“
Dominic hob eine Braue. „Ohne Fragen zu stellen?“
„Ja“, wisperte sie.
„Unmöglich. Soll ich die verschwundenen Miniaturen vergessen?“
„Nein, natürlich nicht … Wirst du die Konstabler verständigen?“
„Noch nicht. Vielleicht tauchen die Bilder wieder auf.“
„Glaubst du, mein Bruder hätte sie entwendet?“
„Wie gesagt, Sie könnten zurückerstattet werden“, erwiderte er ausweichend.
„Danach habe ich nicht gefragt.“
„Ob dein Bruder schuldig ist oder nicht, bleibt dahingestellt“, erklärte er und hielt Juliets eindringlichem Blick stand. „Was Geraldine vorhin erwähnte, stimmt. Diese Aquarelle hat meine Mutter gemalt – Landschaftsszenerien in dieser Gegend, die sie liebte, die sie zusammen mit meinem Vater gern aufsuchte. Sie bedeuten mir sehr viel. Deshalb möchte ich sie wiederhaben. Ich muss Pearce beauftragen, alle Dienstboten zu verhören. Gestern morgen standen die Miniaturen noch in der Vitrine. Also wird jeder befragt, der nach diesem Zeitpunkt die Bibliothek betrat. Auch dein Bruder.“
„O Gott, ich will nicht mit ansehen, wie Robby wegen eines Verbrechens hinter Gittern landet, das er nicht verübt hat!“
„Was immer in meinem Haus passiert, ist meine Sache. Die Fakten sind unbestreitbar. Gestern kam dein Bruder in diesen Raum. Seither fehlen zwei Miniaturen. Ich kenne ihn nicht, und ich weiß nur, dass er neulich aus dem Fleet-Gefängnis entlassen wurde – was mir wenig Grund gibt, ihm zu vertrauen. Du kannst nicht erklären, was mit den kleinen Gemälden geschah. Wenn dich meine begreifliche Sorge kränkt – zu schade. Würdest du in der umgekehrten Situation nicht den gleichen Standpunkt vertreten wie ich?“ Dominics Miene wirkten kalt und kompromisslos.
„Doch, natürlich.“ Ihr ehrliches Wesen verbot ihr einen Protest. Nicht länger fähig, seinen harten Blick zu erwidern, teilte sie ihm mit: „Nachdem mein Bruder Lansdowne House verlassen hatte, fuhr er nach London.“
„Sicher nannte er dir die Adresse, unter der er zu erreichen ist.“
„Zuerst will ich selber mit ihm reden.“
„Das wäre ein Fehler. Falls –, und ich meine falls , er die Miniaturen an sich genommen hat, wird er versuchen, sie möglichst schnell zu veräußern. Dann würde es schwierig sein, ihm irgendetwas zu beweisen, und die Kunstgegenstände, auf die meine Familie und ich sehr großen Wert legen, wären für immer verloren. Verstehst du das, Juliet?“
„Gewiss. Und Miss Howard? Wird sie auch vernommen? Bist du noch gar nicht auf den Gedanken verfallen, sie könnte die Miniaturen entwendet haben, um meinen Bruder zu verunglimpfen?“
„Lächerlich! Warum sollte sie das tun?“
„Weil sie sich maßlos über Sir Charles’ Besuche in Lansdowne House ärgert. Hier in der Bibliothek. Bei mir.“
„Also, das ist ungeheuerlich. Geraldine mag boshaft und tückisch sein. Aber sie stiehlt nicht.“
„Ebenso wenig mein Bruder.“
„Ich hoffe aufrichtig, du hast recht. Gibst du mir jetzt seine Londoner Adresse?“
Herausfordernd reckte Juliet ihr Kinn empor. „Nein, und ich lasse mich auch nicht von dir einschüchtern und dazu zwingen. Ich werde ihn befragen. Das verspreche ich dir. Er wird mit dir reden wollen. Jedenfalls ist er unschuldig, das weiß ich schon jetzt.“
Dominics Lächeln wirkte genauso eisig wie der Glanz in seinen silbergrauen Augen. „Wenn ich ihn finden will, wird es mir gelingen, das schwöre ich. Vor mir kann er sich nicht verstecken. Ich bin ein mächtiger Mann. Sollte er tatsächlich in mein Haus eingedrungen sein, um mich zu bestehlen,
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