Verführer oder Gentleman? (German Edition)
geachtet und zu viel verraten.
„Habe ich recht, Juliet? Verschweigst du mir etwas?“ Ein schrecklicher Verdacht stieg in ihm auf, und er packte ihre Oberarme. In hartem Ton fuhr er fort: „Ist irgendwas zwischen euch beiden geschehen? Was? Ein Kuss?“
Weil sie wegschaute und sich auf ihre zitternden Lippen biss, ahnte er die Wahrheit. Da musste noch mehr vorgefallen sein.
„Also nicht nur ein Kuss … Hat er dich kompromittiert? Hat er es gewagt, dich anzurühren?“ Unsanft schüttelte er ihre Schultern. „Verdammt, Juliet, was hat er getan? Sag es mir!“
Sie sah die Zornesröte in seinem Gesicht, und nach der anstrengenden Reise – nach all den emotionalen Qualen – brachen ihre Verteidigungsbastionen zusammen. Jetzt stand die Abrechnung bevor. Robby wartete. Aufmerksam studierte er ihr Mienenspiel, und sie spähte blicklos über seine Schulter.
„Was hat er getan?“, beharrte er.
Da zwang sie sich, in die Augen ihres Bruders zu schauen, und las unverhohlene Verzweiflung darin. Mühsam schluckte sie. „Bitte, Robby …“, würgte sie hervor. „Verlang nicht von mir, alles zu erzählen. Du würdest mich hassen – allerdings könntest du mich nicht noch tiefer hassen, als ich mich selber verabscheue.“
Eine Zeit lang musterte er sie wortlos. Und während sein Verdacht zur Realität wurde, steigerte sich seine Wut zur Weißglut. „Er hat dich verführt, nicht wahr? O Gott, dieser – dieser elende Schurke hat dich verführt!“
Juliet schüttelte den Kopf und bekämpfte den Kummer, den all die melancholischen Erinnerungen in ihrem Herzen weckten. Nun war ihre Schande unermesslich. Die Fragen des Bruders nach ihrer Tugend raubten den letzten Rest ihrer Würde. „Nein, Robby“, erwiderte sie, die Wangen wachsbleich. Natürlich durfte sie Dominic Lansdowne kein Unrecht zufügen, musste einen Teil der Schuld auf sich nehmen. „Er hat mich nicht verführt.“
Entsetzt hielt Robby den Atem an. „Heißt das, du … du …?“
„Ja“, wisperte sie und schaute voller Scham in das geliebte Gesicht ihres Bruders. „Ich begehrte ihn genauso wie er mich. Sagtest du nicht, die Frauen würden ihn unwiderstehlich finden? Das kann ich jetzt bestätigen. Wie enttäuscht und zornig du bist, verstehe ich nur zu gut. Es tut mir leid.“
Die Hände geballt, rang er um seine Selbstkontrolle. „Also tut es dir leid? Ist das alles, was du zu sagen weißt, nachdem du dich so schmählich erniedrigt hast? Heiliger Himmel! Mit einem landesweit berüchtigten Wüstling bist du ins Bett gehüpft! Mit einem Mann, der seine Geliebten gar nicht mehr zu zählen vermag!“
In diesem Moment erschien er ihr älter und reifer als zuvor. Sie ertrug es nicht mehr, ihn anzusehen. „Derzeit … hat er nur eine. Und so, wie du es glaubst, war es nicht.“
„Wirklich nicht? Für mich sieht es aber so aus. Verdammt noch mal, Lansdowne ist ein Lüstling allererster Sorte.“
„Bitte, hör auf, Robby! Sei mir nicht so böse, das ertrage ich nicht.“
Was vorgefallen war, konnte er einfach nicht fassen. Machtvoll drängte es ihn, den Duke unverzüglich aufzusuchen und niederzuschlagen. Meine schöne, verletzliche Schwester hat dieser Bastard entehrt, dachte er wutentbrannt. Stets hatte er Juliet, ihre Herzensgüte und Lebensfreude für Gottesgeschenke gehalten. Und nun hatte Dominic Lansdowne sie in einen Abgrund gestürzt.
„Von Natur aus bin ich nicht gewalttätig, Juliet. Aber wenn etwas so Furchtbares geschieht – wenn ein verdammter, skrupelloser Kerl meiner Schwester die Tugend raubt, könnte ich ihn umbringen.“ Zögernd fragte er: „Liebst du ihn?“
„Um die Wahrheit zu gestehen, ich habe keine Ahnung“, seufzte sie. Bedrückt zuckte sie die Achseln. „Nur eins weiß ich – es tut weh.“
„Was passiert ist, kann ich nicht ignorieren. Das verstehst du doch? Morgen stelle ich ihn zur Rede.“
Abrupt hob sie den Kopf. „Nein! Das erlaube ich dir nicht, Robby, hörst du mich? Erkläre ihm, du hättest die Miniaturen nicht gestohlen. Aber lass mich aus dem Spiel. Ich bin eine erwachsene Frau. Was ich tue, ist einzig und allein meine Sache.“
„Er wird dich nicht heiraten – das ist dir doch klar?“
„Allerdings. Aus diesem Grund wollte er mich zu seiner Geliebten machen und mir ein Luxusleben in London ermöglichen. Irgendwann wird er jemanden wie Geraldine Howard heiraten – eine Frau, die seines aufgeblasenen Selbstwertgefühls würdig ist. Einer solchen Frau wird er die Ehe anbieten,
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