Verführerische Maskerade
sie fort. »Oh, die Motten haben sich eingenistet … was für ein Jammer.«
»Ich werde mal nachschauen, was sich in den Schachteln dort drüben verbirgt.« Cornelia zeigte auf die Boxen unter der Dachtraufe. »Ellie, kannst du mir helfen?«
»Ich möchte lieber den Koffer dort drüben untersuchen«, meinte Aurelia, die inzwischen vom gleichen Fieber gepackt war wie ihre Freundinnen.
Livia zog die Kleider aus der Truhe, die in mehreren Lagen darin verstaut waren, bewunderte die ausgefallenen Muster und die unzähligen Meter Stoff, die verarbeitet worden waren. Zu solchen Kleidern musste Sophia eine gepuderte Perücke getragen und sich Schönheitspflästerchen auf die passenden Stellen an der Wange geklebt haben. Während sie die Kleider anschaute, fühlte Livia sich plötzlich auf merkwürdige Art mit der verstorbenen Lady verbunden. Es machte den Eindruck, als würde Sophias Geist noch immer in den verstaubten, mottenzerfressenen Falten hausen.
Natürlich war das nichts als eine lächerliche Einbildung. Aber sie gefiel ihr, und als Livia sich tiefer in die Truhe wühlte, schloss sie die Finger um etwas, was sich nicht wie Stoff anfühlte.
»Was ist das?« Sie zog es heraus. »Oh, eine Schreibmappe.« Livia stand auf und brachte die Mappe zum wackligen Tisch. »Aber sie ist verschlossen. Ich frage mich, wo die Schlüssel sein könnten.«
»Bestimmt noch in der Truhe«, vermutete Cornelia und lehnte sich auf den Fersen zurück.
Livia schaute nach, nahm alles heraus, schüttelte sämtliche Stoffe aus und ließ sich von der Staubwolke einhüllen, ohne einen Schlüssel zu finden.
»Versuch doch mal, die Mappe mit der Feile aufzubrechen«, schlug Aurelia vor und wühlte weiter im Koffer herum. »Oh, schau mal, dieser wundervolle Cashmere. Und diese schöne Mantille. Was für eine Verschwendung, sie den Motten zu überlassen.«
Aber Livia war viel zu beschäftigt, um sich um ihre Freundin zu kümmern. Sie stieß mit der Feile in das Schloss, versuchte, vorsichtig zu drehen, und stieß immer wieder hinein. Wenn sie zu kräftig drehte, würde sie das Schloss zerstören; aber da ohnehin niemand wusste, wie lange die Mappe schon auf dem Dachboden lagerte, spielte es eigentlich keine Rolle. Schließlich knackte das Schloss, und sie öffnete die Mappe.
Mehrere Packen Briefe lagen, mit einem blauen Band gebunden, fein säuberlich darin gestapelt. Livia griff nach einem Packen, knüpfte das Band auf und nahm das oberste Blatt. Das Papier war bereits vergilbt, und das Siegel auf der Rückseite in zwei Hälften zerbrochen. Aber die Prägung im dicken roten Wachs konnte man noch erkennen. Sie fügte die zwei Hälften zusammen und las die Initialen AP.
»Was hast du entdeckt?«, fragte Cornelia und schaute ihr über die Schulter.
»Briefe. Päckchenweise.« Vorsichtig entfaltete Livia das Papier, weil sie befürchtete, dass es zerfallen könnte. Die Tinte war zwar verblasst, aber die klare, männliche Handschrift war deutlich zu entziffern. Die ersten Zeilen lauteten:
Mein Herz,
wie viel Zeit ist vergangen, seit ich das letzte Mal von dir gehört habe. Ich empfinde keine Freude mehr, seit ich dich verlassen musste, und ich fürchte, es wird für immer so bleiben. Meine Liebe zu dir ist zu stark. Niemals wieder werde ich Frieden finden oder lachen oder auch nur zur Ruhe kommen können. Manchmal beschwöre ich in meiner Erinnerung die gewöhnlichen Dinge herauf, mit denen du dich im Alltag umgibst, die einfachen Dinge wie die Gabel, die du benutzt, dein Kopfkissen, die kleine silberne Schachtel, in der du deine Ringe aufbewahrst, oder das bestickte Taschentuch mit deinen Initialen. Und dann sehe ich dich wieder, spüre ich dich in meinen Armen, atme ich den süßen Duft deiner Haut ein …
Livia kam sich vor wie ein Eindringling, als sie weiterlas, fühlte sich, als würde sie das Liebesgeflüster heimlich belauschen, und war doch nicht in der Lage, den Brief aus der Hand zu legen. Die letzte Zeile war schlicht: Dein bis in den Tod, A. Unten auf dem Blatt war ein Name eingraviert: Prinz Alexis Prokov.
Verständnislos starrte Livia auf den Brief. Es ergab keinen Sinn. Für den Bruchteil einer Sekunde war sie überzeugt, dass der Brief von Alex stammen musste. Verrückt, dachte sie, das kann natürlich nicht sein … obwohl es seltsam ist, dass Sophia auch einen Mann namens Alexis Prokov gekannt hat.
»Was ist los, Liv? Du siehst ja aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.« Cornelia kam zu ihr.
»Habe ich auch«,
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