Verführerische Maskerade
zog er die Brauen hoch. »Ja, Boris?«
»Prinzessin Prokov wünscht, dass Sie sie so bald wie möglich in ihrem Schlafzimmer aufsuchen, Sir«, spulte Boris ab. »Danke.« Alex nickte, und der Butler zog sich zurück. Was war los mit Livia? Gewöhnlich erteilte sie Boris keine Anweisungen. Wenn sie ihm etwas mitzuteilen hatte, würde sie hereinkommen und es selbst erledigen. Oder sie würde ihn bitten, sie in ihrem Salon aufzusuchen. Warum sollte sie Boris beauftragen, ihm auszurichten, dass er in ihr Schlafzimmer kommen solle?
Nun, es gab nur einen Weg, es herauszufinden. Alex ließ Wachs auf die Depesche tropfen, presste seinen Siegelring hinein und stopfte das Papier anschließend in seine Westentasche. Später würde er es persönlich dem geheimen Posten am Black Cock in der Dean Street übergeben.
Er kam in die Halle. »Boris, ich brauche die Kutsche um acht Uhr. Meine Frau und ich werden den Abend im Theater verbringen.«
»Ja, Prinz.« Boris verbeugte sich. »Darf ich es so verstehen, dass Sie das Dinner hier einnehmen?«
»Ja. Bevor wir ins Theater fahren.« Alex stieg die Treppe hinauf und klopfte an Livias Schlafzimmertür.
Nach ihrer Aufforderung trat er ein. »Es verwirrt mich, dass meine Frau mich mitten am Nachmittag in ihrem Schlafzimmer empfangen will«, meinte er amüsiert. Aber seine Laune änderte sich schnell, als er ihren Gesichtsausdruck sah. Livia war blass, ihr Blick wirkte angestrengt.
»Ist irgendwas passiert, meine Liebe? Fühlst du dich nicht wohl?« Er kam rasch zu ihrem Stuhl an der Kommode.
»Nein, es geht mir recht gut«, erwiderte sie, »und auf die Frage, ob irgendwas passiert ist … um die Wahrheit zu sagen, Alex, ich weiß es nicht. Aber du kannst mir vielleicht helfen.« Weil sie sich plötzlich müde und ängstlich fühlte, bedeckte sie die Augen mit der Hand. Ihre Ruhe war wie weggeblasen, als sie begriff, was sie in den Briefen eigentlich gelesen hatte.
Alex ergriff ihre Hände, schaute sie an und bemerkte ihre Angst. »Was ist los?«
»Das hier.« Livia zog die Hände wieder fort und deutete auf die Schreibmappe. »Ich verstehe es nicht.«
»Was ist das?«
»Briefe, die ich auf dem Dachboden gefunden habe. Lies sie selbst.«
Alex ergriff den obersten Stapel, knüpfte das Band auf und entfaltete vorsichtig das vergilbte Papier. Schweigend las er, während Livia auf dem Frisierhocker saß und im Spiegel seine Miene beobachtete.
Nach einer Weile schnappte er sich die verbleibenden Stapel und ließ sich auf dem Bett nieder. Kein Wort kam ihm über die Lippen, als er ein Blatt nach dem anderen entfaltete und von der ersten bis zur letzten Zeile las. Livia blieb, wo sie war, und beobachtete die ganze Zeit sein Spiegelbild. Seine Miene wurde immer verschlossener; sie konnte unmöglich deuten, was in seinem Kopf vor sich ging.
Alex war erstaunt und erschrocken zugleich. Es war sein Vater, der diese Briefe geschrieben hatte. Sein Vater war zu solcher Leidenschaft in der Lage gewesen … zu solch überschäumenden Gefühlen. Der kalte, distanzierte und pflichtbewusste Vater, den er später kennen gelernt hatte, war derselbe Mann, der diese Zeilen geschrieben hatte. An keiner Stelle in den Briefen hatte Alex lesen können, dass er selbst erwähnt wurde, das Kind jener Frau, an die der Mann schrieb. Hatte sie niemals nach ihm gefragt? Hatte es sie nicht interessiert, was aus ihm geworden war?
Alex überflog die Briefe zum zweiten Mal. Er achtete nicht auf Livia, suchte nach etwas, was er übersehen haben könnte, suchte nach irgendwelchen verborgenen Hinweisen. Nichts. Soweit es Sophia Lacey betraf, schien ihr Sohn niemals existiert zu haben.
Aber die Leidenschaft zwischen ihr und seinem Vater schien so heiß zu lodern, dass er sich beinahe die Finger verbrannte, wenn er die Seiten umblätterte.
Schließlich schaute er auf, den letzten Brief in den Händen. »Erstaunlich«, stieß er hervor, »damit hätte ich niemals gerechnet.«
»Womit hättest du niemals gerechnet?«, fragte Livia wie aus weiter Ferne, drehte sich auf dem Hocker um und schaute ihn an.
»Dass mein Vater in der Lage wäre, solche Briefe zu schreiben«, erklärte er kopfschüttelnd und kniff die Lippen zusammen.
»Alexis Prokov war dein Vater?« Wieder klang ihre Stimme wie aus weiter Ferne.
»Ja … und Sophia Lacey war meine Mutter.«
»Verstehe«, sagte sie, obwohl es gelogen war. »Nein, ich verstehe gar nichts. Warum haben sie nicht geheiratet? War dein Vater vielleicht schon
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