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Verführerische Unschuld

Verführerische Unschuld

Titel: Verführerische Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: CHRISTINE MERRILL
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beugte sich ihr so dicht zu, dass sein Atem über ihre Wange strich, und flüsterte: „Weil ich Frauen nicht schlage, selbst wenn sie es verdient hätten, und weil Sie mich bei einem Moment der Milde ertappt haben, halten Sie mich für eine Art Erlöser, für einen gefallenen Engel, der zu Ihrer Rettung herbeigeeilt ist. Nun, Kleines, das ist ein Trugschluss. Hüten Sie sich, sonst nehme ich alles, was Sie zu geben bereit sind!“
    Rasch schloss sie die Augen, damit er nicht die Sehnsucht darin sah.
    Bitter fuhr er fort: „Ich würde Ihnen nehmen, was Sie nicht einmal bewusst ihr Eigen nennen, und wenn Sie alles gegeben hätten, ginge ich auf und davon, und Sie müssten zu Ihrem Vater zurückkehren und ihm ins Gesicht sagen, warum kein anständiger Mann Sie mehr will. Ich verhielte mich nicht zum ersten Mal so. Ich habe Schlimmeres auf dem Gewissen, als meinem Bruder die Frau auszuspannen. Verlangen Sie nicht von mir, eine weitere Unschuld zu vernichten. Das ist zu viel.“ Damit stand er auf, drehte sich um und verließ den Raum.

6. KAPITEL

    Esme verharrte vor der großen Flügeltür des Ballsaals auf Haughleigh und kämpfte gegen den Drang, Reißaus zu nehmen. Allerdings wäre es von ihr, die sie der Ehrengast war, wirklich sehr undankbar, sich in dem Moment davonzumachen, da sie in die Gesellschaft eingeführt werden sollte.
    Das Fest sollte sowohl eine Willkommensparty für Esme sein als auch die erste Einladung nach der Rückkehr der herzoglichen Familie auf den Landsitz. Die Nachbarschaft werde mit Vergnügen teilnehmen, hatte Miranda versichert, und sich gewiss mit eigenen Einladungen revanchieren, eine Aussicht, die bei Esme nur schwer zu beherrschende Beklommenheit auslöste. Schließlich war ihr keine Saison in London gestattet gewesen, und abgesehen von seltenen, außerordentlich langweiligen Abendeinladungen, bei denen sie daheim als Gastgeberin fungieren musste, hatte sie keine gesellschaftlichen Erfahrungen. Nie war sie der Mittelpunkt gewesen, doch heute Abend durfte sie zusammen mit dem herzoglichen Paar die Gäste empfangen, die in langer Reihe an ihnen vorbeidefilierten. Miranda neigte sich ihr immer wieder einmal zu und flüsterte: „Akzeptabel“, oder: „Sehr annehmbar“, oder: „Annehmbar und reich“, bis Esme schließlich am jeweils besonders strahlenden Lächeln der Duchess ablesen konnte, wie passend der fragliche Herr war.
    Da ihre Freundin sich solche Mühe gegeben hatte, hoffte Esme sehr auf Erfolg, denn der war dringend erforderlich, sofern sie sich der Ehe mit dem alten Earl, dem Favoriten ihres Vaters, entziehen wollte. Wenn sie früher von Tanzfesten zu träumen pflegte, hatte sie immer gehofft, dass bei der Wahl eines Ehemanns nicht nur ihre Vernunft, sondern auch ihre Gefühle beteiligt wären.
    Wahrscheinlich lag da ihr Problem: Sie hatte sich stets vorgestellt, sie würde die Wahl haben und nicht geduldig warten müssen, bis sie gewählt werden würde. Allerdings musste sie einsehen, dass sie ohne Mirandas Hilfe in dieser Angelegenheit überhaupt kein Mitspracherecht hätte, doch letztendlich war auch jetzt immer noch der Mann der Wählende. Aber nun, da die Elite der Nachbarschaft ihr vorgestellt worden war, wünschte sie sich glühend, dass ihr keiner der Gentlemen einen Antrag machen werde.
    „Radwell“, rief Miranda fordernd, „komm her und begrüße unseren Ehrengast, wie es sich gehört. Du meinst wohl, weil du zur Familie gehörst, kannst du dich unauffällig vorbeischleichen. Aber du kannst Esme zumindest willkommen heißen und sie begrüßen.“
    Er verzog das Gesicht und antwortete übertrieben höflich: „Euer Gnaden, ich bitte untertänigst um Verzeihung, dass ich mich hier in meinem Geburtshaus wie daheim betrage.“
    Esme merkte, dass der Duke sich gereizt versteifte, und Miranda überlegte rasch, wie der Konflikt zu vermeiden wäre, den sie dummerweise selbst hervorgerufen hatte, doch die Spannung löste sich, als ihr Schwager ergeben die Schultern hängen ließ und murmelte: „Was tue ich denn da?“ Laut sagte er: „Natürlich, Miranda, wie recht du hast. Ich wollte euch den Abend nicht verderben, indem ich provoziere.“ An seinen Bruder gewandt, fuhr er ein wenig unbeholfen fort: „Es freut mich, das alte Haus in solchem Glanz zu sehen. Für einen Augenblick fühlte ich mich in unsere Kindheit zurückversetzt, als Mutter solche Feste gab.“ Anerkennend betrachtete er den Ballsaal und fügte hinzu: „Obwohl ich meine, deine Gemahlin hat sie

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