Verführerische Unschuld
Begeisterung tat. Sie funkelte nachgerade vor Vergnügen. Wie göttlich war es, zu tanzen! Und wie reizend alle zu ihr waren! Und die Köstlichkeiten, die zum Souper serviert wurden!
Noch nie hatte sie einen so wunderbaren Abend verbracht, wenn ihr auch der Wein ein ganz klein wenig sauer und der Fasan ein bisschen fade und trocken vorkam, sobald ihr Blick auf Radwell fiel, der sich nicht weit entfernt seiner Partnerin widmete, einer offensichtlich von seinen Aufmerksamkeiten außerordentlich geschmeichelten, noch sehr jungen Dame. Esme glaubte, deren helles Lachen zu hören und zu sehen, wie sie im Kerzenschein errötete, als er ihr wohl eine Anekdote erzählte und sich dabei näher zu ihr hinbeugte. Dann schaute das Mädchen unversehens Esme an und warf ihr einen giftgetränkten Blick zu.
Esme schob ihren Teller mit dem Rest des köstlichen Desserts fort. Was mochte sie der jungen Dame getan haben? Bei dem Gedanken, sich gleich bei ihrem ersten öffentlichen Erscheinen eine Feindin gemacht zu haben, wurde ihr ganz kalt. Sie schüttelte das Gefühl ab und versuchte, sich auf die Unterhaltung mit ihrem Tischherrn zu konzentrieren, doch es fiel ihr unglaublich schwer. Mr. Webberly war freundlich, offen und an ihr interessiert. Er war nur wenig älter als sie selbst, und er würde, wie Miranda gesagt hatte, einmal einen nicht unbeträchtlichen Besitz erben. Zwar war sein Gesicht nicht so teuflisch attraktiv wie das gewisser anderer Herren, dafür aber zeugte es von Ehrlichkeit, und sicher würde er ein wunderbarer Ehemann sein. Sie hoffte allerdings, nicht für sie.
Nach dem Dinner führte Mr. Webberly sie auf das Parkett. Während sie mechanisch mit wechselnden Partnern den Figuren des Tanzes folgte, versuchte sie sich auszumalen, wie er bei ihrem Vater um sie anhielt oder gar mit ihr, entgegen jeder Konvention, nach Schottland durchbrannte, doch da versagte ihre Vorstellungskraft. Weiter unten in der Reihe der Tanzenden sah sie ihren mutmaßlichen Zukünftigen, wie er gerade mit einer jungen Dame eine Schrittfolge ausführte. Doch fast hätte sie ihn nicht wiedererkannt, so männlich aufrecht hielt er sich, während er seiner Partnerin immer wieder tief in die Augen blickte. Verblüfft erkannte Esme die blasse junge Dame, die neben Radwell gesessen und sie so gehässig angeschaut hatte. Erleichtert seufzte sie auf. Sie durfte getrost auf Mr. Webberly verzichten, denn eine andere sehnte sich nach ihm, und er erwiderte offensichtlich diese Gefühle. Gelänge es ihr, die beiden für den Rest des Abends zusammenzubringen, müsste sie keinen Gedanken mehr daran verschwenden, dass er ihr je den Hof machte.
Irritiert schüttelte sie den Kopf. Sie durfte nicht so töricht sein und seine Aufmerksamkeiten als unerwünscht betrachten. Nicht auf ihre Wünsche kam es an, sondern nur darauf, der von ihrem Vater geplanten Ehe zu entkommen, und deshalb mussten ihr die Bedürfnisse und Wünsche anderer gleichgültig sein.
Plötzlich entdeckte sie an der anderen Seite des Saales Radwell, der in überheblicher Haltung an der Wand lehnte, den Blick verächtlich auf das den Tanz anführende Paar geheftet. Als ihre Blicke sich kreuzten, merkte sie, dass er ihre Unruhe wahrnahm und amüsiert zwischen ihr und Mr. Webberly hin und her blickte. Dann hob er spöttisch sein Weinglas wie zu einer Gratulation.
Ein Sturm der Gefühle fegte über sie hinweg. Scham, weil er sie bei der Jagd auf einen Ehemann ertappt hatte, Verlegenheit, weil er ihre Gedanken selbst von Weitem hatte lesen können, Stolz über den anerkennenden Blick, mit dem er sie gemustert hatte, ehe er das Glas hob. Er hatte sie angesehen, wie man eine Frau ansieht, nicht ein unreifes Mädchen, und seine Haltung schien auszudrücken, dass er ihr, wonach sie sich sehnte, eher geben konnte als der grüne Jüngling, mit dem sie gerade tanzte. Ihr inneres Chaos steigerte sich noch durch ein Gefühl, das Webberly nicht in ihr auszulösen vermochte. Es war nicht eigentlich Liebe, es war stärker als Liebe, aber kurzlebiger, ein wildes Verlangen, auszublenden, was gut für sie war, die Zukunft zu vergessen, sich der Gegenwart hinzugeben und sich in die Arme St John Radwells zu werfen.
Der Widerstreit schien sie zu zermalmen. Als der Tanz endete, entschuldigte sie sich und suchte, um Atem zu schöpfen, einen kleinen Ruheraum auf.
Bei ihrem Eintritt verstummten die anderen Anwesenden, die sich alle um eine junge Dame scharten. Es war die, mit der Webberly zuletzt getanzt hatte. Auf
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