Verführerische Unschuld
Fingern betupfte sie ihre Augen mit einem Spitzentaschentuch und achtete nicht darauf, dass sie ihre Wimperntusche verschmierte.
“Ich wusste, dass ich dir nicht hätte erlauben dürfen, allein hier herauszukommen”, jammerte sie. “Ich hatte gehofft, dir das zu ersparen, was ich durchgemacht habe.”
“Ich habe nicht geheiratet, um dich zu ärgern”, sagte Caitlyn. Sie überlegte, wie sie ihre Mutter vom Thema ablenken konnte. Im Augenblick fühlte sie sich nicht stark genug, ihr alles zu erklären. “Ich verspreche, später mit dir zu sprechen. Willst du jetzt nicht Daddy sehen?” Caitlyns Stimme brach. “Es wird ihm so viel bedeuten, dich hier zu haben. Mir bedeutet es auch sehr viel. Mehr, als du dir vorstellen kannst, Mom.”
Plötzlich befand sich Caitlyn in der warmen Umarmung ihrer Mutter. “Steht es wirklich so schlecht um ihn?”, flüsterte Laura Leigh.
Caitlyn nickte. “Es sieht nicht gut aus. Die Ärzte sind nicht sicher, ob er es schaffen wird.”
Ihre Mutter wurde blass. Ihr hübscher Mund zitterte, ein Zeichen dafür, dass ihre Gefühle für Paddy im Laufe der Zeit nicht ganz verschwunden waren.
“Natürlich möchte ich ihn sehen.”
“Er schlief, als wir ihn allein gelassen haben. Die Ärzte haben uns geraten, auch ein wenig zu schlafen und später wiederzukommen.”
Caitlyns Ton zeigte, wie schuldbewusst sie sich fühlte, weil sie ihren Vater allein ließ. Grant hatte seine ganze Überredungskunst einsetzen müssen, um ihr verständlich zu machen, dass sie sich ausruhen musste.
“Mach dir keine Sorgen. Ich werde hier sein, wenn er aufwacht.”
“Bist du sicher, Mom?”
Laura Leigh senkte den Blick. “Ich und Paddy müssen noch Frieden miteinander schließen.” Sie holte tief Luft und betrachtete ihre Tochter eindringlich. “Die Ärzte haben recht”, sagte sie streng. “Du siehst wirklich aus wie ein Gespenst. Sobald Grant kommt, gehst du dich ausruhen. Ich bleibe bei deinem Vater und rufe dich, wenn sich sein Zustand ändert.”
Als Grant kurz darauf zurückkam, war er überrascht zu sehen, dass Caitlyn den Kopf auf die Schulter ihrer Mutter gelehnt und Laura Leigh beschützend einen Arm um sie gelegt hatte. Seine Schwiegermutter, wie er sie ja jetzt wohl nennen musste, war nicht so, wie er sie sich vorgestellt hatte. Dass sie überhaupt aufgetaucht war, war ein großer Schock für ihn gewesen. Und dass sie nicht aussah wie ein weiblicher Vampir, dem man die eisige Kälte ihres Herzens ansah, war genauso erstaunlich. Tatsächlich sah sie sehr gut aus für ihr Alter. Aber das änderte natürlich nichts an Grants Abneigung. Nichts konnte ihn vergessen lassen, dass sie die Frau war, die Paddys Herz gebrochen hatte, ohne einen weiteren Gedanken an ihn oder ihre Eheschwüre zu verschwenden.
Grant hoffte jedenfalls, dass Caitlyn nur die Schönheit von ihr geerbt hatte. Andererseits erwartete er nicht, dass sie ihrem eben geleisteten Eheschwur große Bedeutung beimessen würde. Sie hatte sie gesprochen wie eine Schauspielerin, die einen Text deklamierte.
Er selbst war nicht besonders stolz auf seine eigene Rolle in dieser Posse, die ein geheiligtes Ritual ins Lächerliche gezogen hatte. Er konnte nur hoffen, dass Gott ihm vergeben würde, wenn seine Absichten rein waren.
Aber hier lag ja das Problem. Seine Absichten waren so rein wie die Beelzebubs. Im Innersten seines Herzens sehnte Grant sich viel zu sehr nach seiner schönen Braut, um nur den Bräutigam zu spielen und es nicht wirklich zu sein. Sein Blut geriet schon bei ihrem bloßen Anblick in Wallung, und er war es nicht gewöhnt, seine Leidenschaft zügeln zu müssen.
Als Caitlyn aus den Armen ihrer Mutter zu ihm gestolpert kam, streckte er die Arme aus, um sie zu stützen. “Lass uns zu Bett gehen”, flüsterte er und fragte sich verzweifelt, wie er sich zurückhalten sollte, wenn er erst einmal mit ihr allein war.
Grants Worte ließen Caitlyn unwillkürlich erschauern. Auch wenn sie sich einreden wollte, dass es aus Angst geschah, konnte sie sich doch nichts vormachen.
Gleich darauf verließen sie das Krankenhaus und gingen zu dem Parkplatz davor. Caitlyn musste daran denken, dass ihr eine Hochzeitsnacht bevorstand, in der sie befürchteten, dass ihr Vater sterben würde, und sie musste den Drang unterdrücken, hysterisch aufzulachen, als Grant ihr die Tür des Jeeps aufmachte. Unter diesen seltsamen Umständen kam ihr seine Ritterlichkeit unpassend vor. Das geschieht nicht wirklich, sagte Caitlyn sich,
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