Verführerischer Weihnachtstraum
können. Vor allem, weil meine Eltern ihre gesamte Zeit brauchten, um die Farm über Wasser zu halten.“
„Nimmst du ihnen das übel?“, fragte sie und erhielt als Antwort ein vielsagendes Schulterzucken. Ein Signal für sie, das Thema fallen zu lassen. Dieses Zucken mit den Schultern war immer seltener bei ihm geworden. Sie wusste nicht, ob er sich dessen bewusst war, aber sie hatte es auf jeden Fall bemerkt. Sie bahnte sich langsam einen Weg in seine ganz persönlichen Gedanken, und sie freute sich enorm darüber. Da gab es noch so vieles, was sie über ihn wissen wollte.
Sicher, wenn Weihnachten erst vorbei war, dann würde auch die Realität zurückkehren. Pierre würde nach London zurückgehen, und sobald er sein altes Leben aufnahm, wären die wunderbar beschaulichen Tage in Devonshire vergessen. Doch bis dahin würde Georgie weiterhin in dem Glück gemeinsam verbrachter Zeit schwelgen. Wie ein Eichhörnchen hortete sie die Erinnerungen an die Abende in Didis Cottage, wenn sie vor dem flackernden Kaminfeuer saßen und er von seinen Reisen erzählte. Georgie zog ihn damit auf, dass man ja eigentlich nicht von echten Reisen reden könnte: Selbst wenn das Büro, in dem er gesessen hatte, sich am anderen Ende der Welt befand – es blieb doch ein Büro.
Natürlich besorgte sie auch ein Weihnachtsgeschenk für ihn. Es hatte lange gedauert, bevor sie sich entschieden hatte; sie musste schließlich die feine Grenze zwischen „persönlich“ und „nicht zu persönlich“ beachten. Pierre mochte vielleicht die Zeit mit ihr ebenfalls genießen, doch es bestand ein stillschweigendes Übereinkommen zwischen ihnen, dass nichts ewig dauerte, schon gar nicht ihre Beziehung. Er war eben nicht für feste Beziehungen gemacht. Nur die kleinste Andeutung, dass sie die ganze Sache ernster nahm als er, und er würde die Beine in die Hand nehmen. Wahrscheinlich besaß er einen unerschöpflichen Vorrat an Turnschuhen, damit er besser rennen konnte, sobald ihm eine Frau für seinen Geschmack zu nahe kam.
Also schenkte sie ihm ein Buch. In einem der Momente voller Intimität, derer er sich wahrscheinlich gar nicht bewusst war, hatte Pierre ihr von seinem Lieblingsbuch erzählt. Als er gerade aufs Internat gekommen war, hatte er nachts immer „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ gelesen. Georgie sah das Bild eines kleinen Jungen vor sich. Zum ersten Mal fern von zu Hause, schmökerte er unter der Bettdecke mit der Taschenlampe, um sich von seinem Heimweh abzulenken … Davon hatte sie Pierre gegenüber natürlich nichts erwähnt. Aber sie hatte eine frühe Ausgabe des Buches in einem Antiquariat erstanden, mit handgezeichneten Illustrationen. Das war doch sicherlich nicht zu persönlich, oder?
Am Heiligen Abend, nach zehn märchenhaften Tagen, gingen die drei zur frühen Christmesse, um danach zum Dinner ins Cottage zurückzukehren. Es hatte keiner großen Überredungskünste bedurft, Georgie dazu zu bringen, die Nacht bei Didi zu verbringen. Pierre hatte sie abgeholt.
„Ich komme mir vor, als würde ich umziehen“, scherzte sie, als sie mit ihrem kleinen Koffer, den Geschenken und den Schüsseln mit dem Essen, das sie vorbereitet hatte, aus dem Bentley ausstieg.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass du deine Hühner so einfach verlassen würdest.“
Bei seiner Bemerkung verdunkelte eine kleine Wolke ihre sonnige Stimmung, doch sie verscheuchte sie sofort mit einem Lachen. „Meinst du nicht, sie würden auch allein zurechtkommen?“
„Nein. Dazu hast du sie viel zu sehr verwöhnt. Was, um alles in der Welt, hast du bloß in diesen Koffer gepackt? Der wiegt ja eine Tonne!“
Pierre schloss die Haustür auf und hievte erst einmal den Koffer in die Diele. Didi hatte sich bereits hingelegt. Eigentlich hatte sie unbedingt aufbleiben und mit den Turteltauben noch ein Glas Portwein trinken wollen. Doch der Tag war lang gewesen. Didi hatte den beiden also eine gute Nacht gewünscht, bevor sie losfuhren, um Georgies Sachen zu holen.
„Du bleibst doch nur für eine Nacht. Wie viel kann eine Frau denn innerhalb von vierundzwanzig Stunden anziehen?“
„Ich habe ein bisschen mehr eingepackt, nur für den Fall“, gestand Georgie. „Ich musste gerade erst innerhalb kürzester Zeit zweimal ungeplant fort von zu Hause übernachten und stand ohne frische Sachen da. Dieses Mal bin ich vorbereitet.“ Was ihr nur die Unbeständigkeit ihrer Lage verdeutlichte. Doch im Moment wollte sie sich nicht damit auseinandersetzen. Nicht
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