Verführerisches Feuer
angerufen. Er bittet um Rückruf, sobald ich eine Spur von Ihnen habe.“
Erzählte er ihr das absichtlich, damit sie den Gedanken an Rückkehr ein für alle Mal aufgab? Versuchte er sie zu manipulieren?
Es war schon erstaunlich, wie sich im Vergleich zu gestern ihre Stimmung verändert hatte, als noch ganz klar ihre Dankbarkeit überwogen hatte. War sie wirklich so leicht zu täuschen? Ihre Mutter hatte oft ihre mangelnde Menschenkenntnis beklagt, und manchmal hatte sie sogar Beispiele dafür anführen können.
Sie hob herausfordernd das Kinn. „Und was werden Sie ihm sagen?“
„Nichts. Er ist Ihr Stiefbruder, deshalb liegt es allein bei Ihnen zu entscheiden, was er wissen soll und was nicht.“
Seine Antwort nahm ihr den Wind aus den Segeln. Ihre Verstimmung verflog, und plötzlich kam sie sich klein und dumm vor.
„Am besten fangen Sie gleich an zu packen. Aber vergeuden Sie keine Zeit damit, noch mehr Sachen für das Kind mitzunehmen. Ich habe Roccos Frau gebeten, alles für Olivers Ankunft vorzubereiten. Und vergessen Sie Ihren Pass nicht. Da ich nicht annehme, dass Sie einen Pass für Ihren Sohn haben, habe ich einen Eilantrag gestellt. Dafür benötigen wir noch ein Foto, das können wir jetzt gleich unterwegs machen lassen.“
„Geben Sie mir Oliver“, forderte Falcon Annie vier Stunden später auf, nachdem die Limousine nur ein paar Meter entfernt von dem glänzenden Flugzeug, das auf dem Rollfeld auf sie wartete, angehalten hatte. Der Chauffeur hatte eben die Tür geöffnet, und Falcon streckte die Hände nach dem Baby aus.
Instinktiv wich Annie einen Schritt zurück und legte ihre Arme schützend um ihr Kind.
„Danke, das ist nicht nötig“, erklärte sie steif, aber entschieden.
Falcon, der zugeben musste, dass sie sehr besorgt war um ihren Sohn, erwiderte trocken: „Aber ich bin doch sein Onkel .“
„Und ich bin seine Mutter“, konterte sie prompt.
„Sie werden bald merken, dass in italienischen Familien die Kinder allen gehören, damit jedes Familienmitglied sich an ihnen erfreuen kann“, erwiderte Falcon ruhig.
Aus irgendeinem idiotischen Grund trieben ihr seine Worte die Tränen in die Augen. Es gab nichts, was sie sich für Ollie mehr wünschte als eine große liebevolle Familie, Menschen, die ihn in ihre Mitte aufnahmen, in ihr Herz schlossen und liebten. Und sie gleich mit dazu?
Der Chauffeur war ihr beim Aussteigen behilflich, während der Pilot mit dem Steward aus dem Flugzeug kam, um sie und Falcon zu begrüßen. Niemand schien sich über ihre Anwesenheit zu wundern. Aber wahrscheinlich waren sie auch nur zu taktvoll, um sich etwas anmerken zu lassen. Und vor allem war man bestimmt daran gewöhnt, dass Falcon Leopardi jede Menge Frauen im Schlepptau hatte. Wenn auch keine wie mich, überlegte Annie weiter, wobei sie sich ihrer Unzulänglichkeiten schmerzlich bewusst war. Falcons Frauen waren natürlich elegant und selbstbewusst. Und trugen Designerkleider, die ihre körperlichen Vorzüge unterstrichen.
Wie kam sie dazu, sich mit ihnen zu vergleichen? Zwischen den Frauen, mit denen Falcon sich schmückte, und Annie Johnson lagen Welten. Plötzlich verspürte sie einen scharfen Stich, während sie alle Verluste betrauerte, die sie im Leben erlitten hatte. Der Schmerz war so heftig, dass sie fast laut aufstöhnte. Gab es eine Frau in seinem Leben? Eine ganz bestimmte? Eine Frau, die er heiraten und zur Mutter seiner Kinder machen woll te? Der Schmerz nahm ihr fast die Luft zum Atmen.
Was war los mit ihr? Sie hatte doch alles, was sie wollte. Das Glück anderer interessierte sie nicht. Sie mochte ihr Leben so, wie es war. Sie lebte nur für Ollie, mehr brauchte sie nicht.
„Geben Sie ihn mir.“ Bevor sie ihn hindern konnte, nahm Falcon ihr Ollie ab. Und so blieb ihr nichts anderes übrig, als dem Steward die Gangway hinauf ins Flugzeug zu folgen.
Sie gab sich Mühe, nicht beeindruckt zu wirken, obwohl das nicht ganz einfach war. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, dass es in einem Flugzeug aussehen könnte wie in einem sehr eleganten Wohnzimmer.
Falcon war ihr gefolgt und deutete auf das Kinderbett, das man für Ollie aufgestellt hatte. Der Kleine war jetzt hellwach und schaute sich mit großen Augen um.
Er ist das süßeste Baby der Welt, dachte Annie, wobei sie von einer gewaltigen Welle mütterlicher Liebe überschwemmt wurde. Und in den neuen Sachen, die sie ihm angezogen hatte, sah er erst recht zum Anbeißen aus, was er irgendwie sogar zu wissen schien. Nur
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