Verführerisches Feuer
preisgegeben. Es war lächerlich und extrem peinlich, dass eine vierundzwanzigjährige Frau – und Mutter! – nicht die leiseste Ahnung von Sex hatte.
„Als Colin Ihnen einredete, dass es verwerflich sei, wenn sich ein Mädchen von Jungen angezogen fühlt? Oder gar davon träumt, in den Armen eines ganz bestimmten Jungen zu liegen?“
Annie wollte sich die Ohren zuhalten, gerade so als ob sie immer noch zwölf wäre.
„Daran ist nichts, aber auch gar nichts, dessen man sich schämen müsste“, stellte Falcon im Brustton der Überzeugung klar. „So fängt es für uns alle an. Mit Neugier und Bewusstheit, mit Aufregung und der Angst, sich lächerlich zu machen.“
„Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Sie jemals so empfunden haben … dass Sie jemals Angst hatten, sich der Lächerlichkeit preiszugeben“, sagte Annie.
„Ich kann Ihnen aber versichern, dass es so war. Wem wäre es wohl nicht so ergangen? Es ist völlig normal und gehört zum Erwachsenwerden dazu.“
„Ich konnte Colins Ermahnungen einfach nicht vergessen, deshalb schaffte ich es nicht einmal, mir auch nur vorzustellen , ich könnte mich von irgendwem angezogen fühlen“, gestand sie.
Es war beunruhigend, wie schockierend und beschämend sie es noch vor ganz kurzer Zeit gefunden hätte, solche Dinge auszusprechen – Dinge, die ihr mittlerweile ganz leicht über die Lippen kamen.
„Dann haben Sie Ihre natürlichen Sehnsüchte einfach unterdrückt und einfach darauf verzichtet wie auf hübsche Kleidung?“, fragte Falcon.“
„Ich wollte mich einfach nur sicher fühlen.“
„Sicher vor wem? Vor Männern ganz allgemein oder vor Ihrem Stiefbruder?“
Annies Augen weiteten sich vor Erstaunen. So genau hatte sie darüber noch nie nachgedacht.
„Als ich nach London kam, hätte ich wahrscheinlich versuchen können … mehr … na ja … irgendwie normaler zu sein, aber die jungen Frauen dort waren alle so … so frei, und ich hatte Angst, nicht mithalten zu können. Ich konnte mir schlicht nicht vorstellen, dass irgendwer … und dann war da noch die Angst, was wohl sein mochte, wenn ein Mann entdeckt, dass … na ja … dass ich so unerfahren bin und so … so habe ich dieses Thema dann einfach verdrängt. Und jetzt ist es zu spät. Jetzt könnte ich gar keine Beziehung mehr anfangen, selbst wenn ich es wollte. Welcher Mann will schon eine Frau wie mich? Eine Frau mit Kind, die von Sex keine Ahnung hat? Wie sollte ich das irgendwem erklären? Ich könnte es nicht …“
„Warum nicht? Mir haben Sie es doch auch erzählt.“
Daraufhin hob sie den Kopf und schaute ihn an, schockiert nicht nur von der Erkenntnis dessen, was sie eben getan hatte, sondern auch, wie mühelos es ihr gelungen war, sich ihm zu öffnen.
„Das ist etwas anderes“, protestierte sie matt. „Sie sind nicht … wir sind nicht … ich weiß, dass ich Ihnen vertrauen kann, weil …“
Weil was? Weil Falcon war, wie er war, oder weil er der war, der er war? Annie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass Falcon anders war, etwas Besonderes, ein Mann mit Qualitäten, die heutzutage dünn gesät waren.
„Es muss sehr schwer für Sie gewesen sein, so zu leben, es ist einfach unnatürlich für eine junge attraktive Frau.“
Falcon fand sie attraktiv? Oder sagte er das nur, weil er sie bemitleidete?
„Sie brauchen kein Mitleid mit mir zu haben“, wehrte sich Annie. „Ich bin so wie ich bin glücklich.“
„Das kann nicht sein“, widersprach Falcon fest. „Das bilden Sie sich nur ein. Sie haben so viel Angst vor Strafe, dass Sie Ihre Sexualität restlos verdrängt haben. Aber so kann man nicht leben. Es ist unmöglich und vor allem höchst ungesund, auf Dauer einen so wichtigen Teil von sich selbst einfach zu ignorieren.“ Sein Ton fall hatte sich verändert und klang jetzt streng.
„Ich muss damit leben“, erwiderte Annie. „Ich habe keine andere Wahl.“
„Aber Sie hätten gern eine? Würden Sie sich Ihre Sexualität zurückerobern, wenn Sie es könnten? Damit Sie frei sind, um einen Mann kennenzulernen, vielleicht sogar einen, mit dem Sie Ihr Leben teilen möchten?“
„Ich …“ Sie wünschte sich verzweifelt, an ihrem Stolz festhalten und es abstreiten zu können. Aber Falcons Worte hatten in ihr so eine wilde Sehnsucht ausgelöst nach allem, was offensichtlich nicht für sie bestimmt war, dass sie ihn nicht anlügen konnte. „Ja“, gestand sie schlicht.
Falcon wandte sich ab. Er musste sich entscheiden. Es war die ganze Zeit da gewesen,
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