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Verführt: Roman (German Edition)

Verführt: Roman (German Edition)

Titel: Verführt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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nur noch verletzlicher erscheinen. Wehrlos und schutzbedürftig. Gerard wollte schon die aschblonden Strähnen zurechtstreichen, doch dann sagte er sich, dass es nicht länger seine Aufgabe war, sie zu beschützen. Er zog die Hand wieder zurück.
    Das Mondlicht beleuchtete das blasse Antlitz mit den tiefen Spuren der Erschöpfung um die Augen. Er hatte keine andere Wahl, als Lucy in seiner Kajüte gefangen zu halten. Seine erste Sorge hatte seiner Mannschaft zu gelten. Und seiner Familie. Doch er verabscheute die Vorstellung, Lucy unter Deck dahinwelken zu lassen wie eine ihrer empfindlichen Gloxinienblüten, wenn man ihnen frische Luft und Sonnenlicht vorenthielt. Besser als jeder andere wusste er, wie krank es die Seele machte, der Freiheit beraubt zu sein. Der hohe Preis, den sein Rachefeldzug ihr abverlangte, gab ihm zu denken.
    Unwillkürlich suchte seine Hand wieder den Weg zu ihrem Haar. Er ließ die vom Mondlicht versilberten Strähnen durch die Finger gleiten und ergötzte sich an ihrer Seidigkeit. Die blanke Abscheu im Blick, war sie vor seiner Berührung zurückgeschreckt. Was hatte er eigentlich erwartet? Dass sie ihren Vater verstieß, sich in seine Arme warf und ihm ewige Treue schwor, sobald sie die Wahrheit erfuhr? Er hätte es ohnehin nicht verdient gehabt. Er hatte sie genauso hintergangen wie zuvor der Admiral.
    Er ballte die Hand in ihrem Haar zur Faust. Sie dachte schlecht von ihm. Was hinderte ihn also daran, sie in ihrem Glauben zu bestätigen? Was hinderte ihn daran, an ihren leicht geöffneten Lippen zu saugen, bis sie sich unwillentlich seinem Kuss ergab? Was hinderte ihn daran, sie bei den Handgelenken zu packen und ihre zarte Gestalt unter seinem Gewicht gefangen zu nehmen? Doch er zweifelte, dass seine Verführungskünste, die er einst an den schönsten Damen Londons geschult hatte, ausreichten, ihre tiefe Überzeugung zu überwinden, betrogen worden zu sein. Sobald sie den Nebel des Schlafs abgeschüttelt hatte und begriff, was vorging, würde sie sich widersetzen.
    Und dann würden sie beide leidvoll erfahren müssen, wie viele dunkle Seiten seine Seele immer noch barg.
    Er ließ das Haar aus den Fingern gleiten. Eine selbstsüchtige, primitive Stimme in ihm fing zu fluchen an, weil er nicht fähig war, sie noch mehr zu verletzen, als er es schon getan hatte. Was hatte dieses zarte Mädchen nur an sich, unfehlbar seinem lang verdrängten Gewissen zuzusetzen?
    »Du bist eine verfluchte Schande für den ganzen Piratenstand, Doom«, flüsterte er und zog die Tagesdecke über sie.
    Lucy kuschelte sich tief hinein. Gerard beugte sich noch einmal über sie und entschloss sich schweren Herzens, Apollo den Kajütenschlüssel auszuhändigen. Und zwar mit der strikten Order, ihn nicht zurückzugeben.

21
     
    Am nächsten Morgen erwachte Lucy zu den ungewohnten Klängen eines bezaubernden französischen Chansons im fröhlichen Rhythmus der Südsee.
    Sie schlug die Augen auf und sah den Riesen von einem Steuermann ein Tablett abstellen. »Frühstück?«, murmelte sie und rieb sich die Augen.
    »Mittagessen, Missie«, berichtigte er sanft. »Es hat schon vor über einer Stunde zwölf geschlagen.«
    Zwölf! Entsetzt über so viel Müßiggang, schoss Lucy hoch. Dann fiel ihr ein, dass es hier keinen Tagesplan gab, den sie hätte abarbeiten müssen, und keinen, den ihre Untätigkeit störte. Sie ließ sich zurück in die Federmatratze fallen, streckte sich wohlig und gähnte katzenhaft. Apollo verschwand nach draußen und pfiff diesmal vor sich hin, statt zu singen.
    Lucy legte mitten im Gähnen eine Pause ein, weil ihr halb wieder ein Traum einfiel. Ein Traum, in dem Gerard – ihr Gerard – sie liebevoll zugedeckt und ihr einen zarten Kuss auf die Lippen gedrückt hatte. Sie schaute an sich herunter und begriff, dass sie tatsächlich in die Tagesdecke gewickelt war.
    Der logische Verstand ließ sie die schöne Vorstellung verwerfen. Sie hatte sich die Decke im Schlaf übergezogen, weil ihr kalt geworden war, und sich aus unerfüllten Hoffnungen einen Traum zusammengebastelt. Aber das sehnsuchtsvolle Ziehen im Herzen konnte auch alle Logik der Welt nicht vertreiben.
    Apollo tauchte wieder auf und zerrte mit einiger Anstrengung eine messingbeschlagene Truhe herein. »Das schickt Ihnen der Captain, Missie.«
    Lucy setzte sich auf, ihr Herz schlug schneller. Nicht Gerard, sondern »der Captain«. Der allmächtige Befehlshaber, der unbegrenzte Macht über ihr Schicksal und ihre Zukunft hatte.
    Sie

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