Verführt: Roman (German Edition)
krabbelte aus dem Bett, bewegte sich auf die Truhe zu, versuchte gleichgültig zu tun und scheiterte kläglich. »Was ist das? Die abgeschlagenen Häupter seiner früheren Gefangenen?«
Dass Apollo nicht viele Worte machte, wusste sie mittlerweile, aber jetzt warf er ihr immerhin einen tadelnden Blick zu, bevor er in die Truhe griff und ein zusammengelegtes Stoffbündel herausholte. Er schüttelte es vor der Brust auf, und zum Vorschein kam das atemberaubendste Kleid, das Lucy je gesehen hatte.
Sie schnappte vor Begeisterung nach Luft. Sie hätte geschworen, dass ihr jede weibliche Eitelkeit fremd sei, aber jetzt überkam sie die primitive Gier, den exquisiten türkisfarbenen Seidenstoff mit der cremefarbenen Spitze zu befühlen. Das reich mit Perlen besetzte Kleid erzählte von einer anderen, leidenschaftlicheren Ära und ließ das keusche Weiß ihrer griechisch inspirierten Kleider zur Bedeutungslosigkeit verblassen.
»Oh du meine Güte«, keuchte sie ehrfürchtig. »Ist das nicht wunderbar?«
Apollo lächelte und ermunterte sie, die neugierigen Finger über die winzigen Perlmuttknöpfe am Ärmel gleiten zu lassen.
»Darf ich?«, fragte sie schüchtern.
Er legte ihr das Kleid in die Hände. Und Lucy gab ihrer Freude nach und hielt sich das Kleid an, ob es wohl passte.
Das Vergnügen wich so schnell, wie es gekommen war. Der voluminöse Rock verschluckte nicht nur gänzlich ihre Füße, sondern auch handbreit den Kajütenboden. Das Kleid war ganz offensichtlich für eine Frau geschneidert worden, die deutlich größer war als Lucy – und üppiger geformt, was das Oberteil anging.
Ich habe gehört, Doom bevorzugt Frauen, die ein wenig mehr Fleisch auf den Knochen haben …
Gerards eigene Worte verspotteten sie. Was hatte sie sich nur gedacht? Dass er keine Mühe und keine Kosten gescheut hatte, ihr eine Garderobe schneidern zu lassen, bevor er sie entführt hatte? Sie betrachtete missmutig die überquellende Truhe. Das hier waren ganz offensichtlich die vergessenen Kleider der anderen Frauen, die er an Bord zu Gast gehabt hatte. Und wenn sie etwas über den Frauentyp aussagten, den er sich normalerweise herholte, dann musste Lucy ihm wirklich unattraktiv erscheinen.
Sie schaute an sich hinunter und kam sich eckig und vertrottelt vor in ihrem Männeraufzug.
Sie hob das Kinn und ließ das prachtvolle Kleid zu Boden fallen. »Sie dürfen Ihrem Captain ausrichten, dass meine eigene Kleidung völlig ausreicht. Ich bin an den Sachen seiner ehemaligen Dirnen nicht interessiert.«
Apollo blickte so niedergeschlagen drein, dass Lucy beinahe das schlechte Gewissen plagte. Er setzte zu einer Antwort an, ließ es dann aber doch bleiben, als fürchte er schlimme Folgen.
Der verletzte Stolz fachte Lucys Wut an. »Sie können Ihrem Captain außerdem sagen, dass er nicht zu glauben braucht, er könne sich meine Kooperation erkaufen. Er sollte es besser wissen. Anders als er glaubt, bin ich nämlich kein verängstigtes Mäuschen, das sich mit einem hübschen Stück Käse in die Falle locken lässt.«
Apollo raffte das Kleid zusammen, das er zuvor so sorgsam behandelt hatte, und packte es in die Truhe. »Also gut, Missie. Ich werde dem Captain Ihre Nachrichten überbringen.«
»Herzlichen Dank, Sir«, erwiderte Lucy. In einer Männerhose zu knicksen, erschien ihr zwar etwas lächerlich, doch sie wirkte hoffentlich noch würdevoll genug, sich solch eine großmütige Geste leisten zu können.
Apollo schlug den Deckel zu und machte sich mitsamt der Truhe davon, als hätte er vergessen, Segel zu setzen oder sonst irgendetwas Lebensnotwendiges. Lucy hoffte einige inständige Sekunden lang, er werde vergessen, die Tür zu verschließen, doch das Klirren des Schlüssels und der Schlag des Bolzens waren unüberhörbar.
Sich seinen Gefühlen hinzugeben machte bestimmt hungrig, überlegte Lucy und ging zum Tisch. Abgesehen davon, würde sie für den Schlagabtausch mit Captain Claremont all ihre Kraft und Intelligenz brauchen.
Sie zog die Serviette vom Tablett und schrie vor ohnmächtiger Wut auf, denn vor ihr auf dem Steingutteller stand ein großer Krug schäumender Milch, und daneben lag ein hübsches Stück Käse.
Gerards nahm ihre Zeit in der Tat weit weniger in Anspruch, als der Admiral es zu tun pflegte. Sah man davon ab, dass Apollo sie allmorgendlich im Auftrag des Kapitäns nach ihrer Befindlichkeit befragte, schien es, als habe Gerard sie gänzlich vergessen.
Lucy war gezwungen, die monotonen Tage auf See in eine
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