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Verführt: Roman (German Edition)

Verführt: Roman (German Edition)

Titel: Verführt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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sie dem erdrückenden Wesen des Admirals entwischt war.
    Er fragte sich einmal mehr, welcher Teufel ihn geritten hatte, ihr solche Freiheiten zuzugestehen. Er hatte sie in die Kajüte gesperrt, damit er sie nicht pausenlos vor Augen hatte. Und nun musste er seine eigene Bewegungsfreiheit beschränken, um nicht ständig über sie zu stolpern.
    Sie war einfach überall: Die beiden Zöpfe, die sie neuerdings trug, tauchten über ein Segel gebeugt auf, als Pudge ihr einen komplizierteren Stich beibrachte; seine Männer saßen wie Kinder an Mamas Rockzipfel um sie herum, während sie laut aus einem Defoe vorlas; bei Sonnenuntergang lehnte sie an der Bugreling und betrachtete nachdenklich die Wolken, während die pflaumenblaue See den flammenden Sonnenball ertränkte.
    Es irritierte ihn, mit welcher Leichtigkeit die halsstarrige Miss Snow seine Mannschaft bezaubert hatte. Er wusste, dass die Männer nach weiblicher Gesellschaft hungerten, welcher auch immer, und er war der Einzige, dem diese Gesellschaft verwehrt war. Ihre natürliche Schönheit packte ihn wie die salzige Gischt. Ihr helles Lachen quälte ihn, bis er die eigene Großzügigkeit mit einer Verbitterung bereute, die ihm Sorgen bereitete.
    Er wusste, es gab nur einen Ort, an dem sein Gemüt sich beruhigte. Doch als er sich vom Fockmast schwang, übersah er das spitzbübische Gesicht, das hinter der Gangspill hervorlugte und jeden seiner Schritte verfolgte.
     
    Lucy lief auf Zehenspitzen durch den schattigen Frachtraum auf die eisenbeschlagene Tür zu und erinnerte sich an ihren letzten unrühmlichen Versuch, das Geheimnis der mysteriösen Kammer zu ergründen. Gerard war vor fünf Minuten hinter der Tür verschwunden, und Lucy hatte genauso lange gebraucht, ihren Mut zusammenzunehmen und ihm nachzugehen.
    Warum hätte sie Angst haben sollen? Er hatte ihr ausdrücklich erlaubt, sich frei auf dem ganzen Schiff zu bewegen, also konnte er sie kaum ausschimpfen, weil sie ihn verfolgte. Oder doch?
    Sie drückte das Ohr an die Tür. Sehr zu ihrer Erleichterung waren keine Schmerzensschreie zu hören oder verzweifeltes Winseln um Gnade. Allerdings waren Stimmen zu hören, Männerstimmen, die verärgert wirkten.
    Die dicke Eiche dämpfte Gerards wohl gesetzte Worte, auf die eine noch schärfer artikulierte Stimme Antwort gab. Lucy runzelte die Stirn. Apollos Bass war das nicht, auch nicht Tams irischer Akzent oder Pudges schüchternes Gemurmel. Sie konzentrierte sich besser und konnte ein paar Bruchstücke des hitzigen Dialogs verstehen.
    Gerard sagte: »… bist du ganz allein schuld … sonst steckte sie noch sicher im eigenen Bett … nur wegen deiner Indiskretion …«
    Lucys Mund klappte auf. Soweit sie wusste, war sie die einzige »Sie« im Umkreis von tausend Seemeilen.
    Die schiere Begeisterung darüber, Gegenstand von Gerards Gesprächen zu sein, versetzte sie in die Lage, die komplette Antwort seines Gegenübers zu verstehen. »Ach ja! Als ob sie da allein drin läge. Und soweit ich mich entsinne, hast du in deinen besseren Tagen mehr als nur ein paar gelangweilte Adelsdamen verführt.«
    Gerards Antwort bewegte sich haarscharf an der Obszönität vorbei, und Lucy erschauderte förmlich. Digby, der Oberkanonier, redete in Obszönitäten, als seien sie seine Muttersprache, aber nicht einmal er hätte ihr einen solchen Ausdruck beigebracht.
    Gerards Gesprächspartner schien der anatomisch unmögliche Vorschlag eher zu amüsieren. Sie verstand gerade noch: »… du mich jetzt zu meinem eigenen Schutz eingesperrt oder zu ihrem?«
    Hastige Schritte näherten sich der Tür, und Lucy gelang es, im Bruchteil einer Sekunde um die nächste Ecke zu verschwinden, bevor die Tür aufflog. Sie duckte sich in den Schatten, als Gerard auftauchte. Er wirkte nicht halb so verärgert, wie sie befürchtet hatte. Aber vielleicht, überlegte sie stirnrunzelnd, war sie ja die Einzige, die ihn tatsächlich in mörderische Rage brachte.
    Als er die Tür hinter sich zusperrte und den Messingschlüssel einsteckte, sank ihr das Herz. Er war schon lange verschwunden, da hockte sie immer noch im Dunkeln und nahm erschüttert zur Kenntnis, dass sie nicht die einzige Gefangene an Bord der Retribution war.
     
    Spät am Abend lag Lucy allein auf dem Hinterdeck. Ein ausrangierter Haufen Segel war ihr Kissen, der riesige sternengesprenkelte Himmel ihre Decke. Der Admiral hatte ihr beigebracht, in Schwarz und Weiß zu denken, doch jetzt fand sie sich auf dem unbekannten Terrain der Grautöne

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