Verführt: Roman (German Edition)
war.
»Hier, Lucy«, rief Tam gerade und reichte ihr einen angeschlagenen Krug. »Jetzt probieren Sie mal die Rummixtur. Die gibt Glück beim Würfeln.«
Lucy nahm gehorsam einen Schluck. Digby und Fidget brachen in schallendes Gelächter aus, als sie ihre Grimasse sahen. »Großer Gott, Tam! Was ist in diesem Zeug drin? Schierling?«
Tam zählte die Ingredienzen an den Fingern ab. »Gin. Sherry. Rum. Gewürze …«
»Du hast die rohen Eier vergessen, Tam«, merkte Pudge gewissenhaft an.
Lucy hustete und spuckte unschicklich. »Das gibt bestimmt kein Glück beim Würfeln«, prustete sie schließlich.
Als das Gelächter sich gelegt hatte, beugte sich Kevin zu ihr hinüber und drückte ihr die Würfel in die Hand. »Zweimal die Sechs ist der Hauptgewinn. Einen Kuss auf einen glücklichen Wurf, Liebste.«
Gerard ballte die Hände zu Fäusten. Er hielt den Atem an und fürchtete schon jetzt, was er wohl tun würde, falls Kevins sinnliche Lippen Lucy einen Kuss auf den Mund drückten. In zweiundzwanzig Jahren hatte er nie im Zorn die Hand gegen seinen Bruder erhoben, doch jetzt hätte er Kevin am liebsten beide Hände um den Hals gelegt und ihn erwürgt.
Er atmete erleichtert wieder aus, als Lucy vergnügt ihre eigene Würfelhand küsste. Und doch brachte selbst diese unschuldige Geste das Blut in Gerards Lenden zum Kochen.
Er hatte genug davon, sich im Schatten herumzudrücken, und trat vor. »Was hast du nur für ein bezauberndes Schoßhündchen aus unserer Geisel gemacht, Kevin. Ich habe schon von Schiffen gehört, auf denen man sich einen dressierten Hund als Maskottchen hält. Oder sogar ein Schwein. Aber von einer Admiralstochter habe ich noch nie gehört.«
Gerards unerwartete Breitseite traf Lucy ins Mark. Ihre Finger wurden eisig, dann taub. Der Würfel rollte ihr aus der Hand und belohnte ihre Ungeschicklichkeit mit einer doppelten Sechs. Nach einer kurzen, erstaunten Pause brachen die Männer in halbherziges Gejohle aus.
Doch das langsame, höhnische Händeklatschen ihres Kapitäns ließ sie gleich wieder verstummen. Seine Launen waren in letzter Zeit zunehmend unberechenbarer geworden. »Haben Sie einfach nur teuflisches Glück oder das Talent Ihres spielsüchtigen Vaters?«
Lucys Nerven waren ohnehin zum Zerreißen gespannt, und der hinterhältige Angriff brachte sie auf die Füße.
Tam griff sich an den Hosenbund und hielt sicherheitshalber seine Pistole fest, Pudge wich nach hinten zurück, Fidgets Wange zuckte wie wild, und Digby fing leise, aber unaufhörlich zu fluchen an. Während Kevin die Würfel anstarrte, als ließe sich die Zukunft daraus lesen.
»Sie haben wahrlich Nerven, Captain, meinem Vater das Kartenspielen vorzuwerfen«, sagte Lucy und bohrte einen Finger in seine Brust. »Was glauben Sie, tun Sie denn eigentlich? Als ob es nicht riskant wäre, im Kreis herumzusegeln und darauf zu warten, dass die Royal Navy einen findet! Lauert denn keine Gefahr darin, sich mit Schiffen anzulegen, die größere Kanonen haben, viel mehr Männer an Bord und brillante Strategen, wie Sie nie einer sein werden? Sie sind ein besessenerer Spieler, als mein Vater es je war. Aber Sie spielen auf Leben und Tod! Sie benutzen diese Männer hier als Ihre Würfel! Sie setzen das Leben und die Zukunft Ihrer Mannschaft aufs Spiel und scheren sich einen Dreck um Ihre Leute, solange Sie nur am Ende gewinnen.«
Gerard sah sie eine endlose Zeit schweigend an. Die Unantastbarkeit seiner Würde war Lucy unerträglicher als jeder Wutausbruch. Dann sagte er schließlich: »Vielleicht sollten wir uns dieses Schwein anschaffen.«
Die Männer standen einer nach dem anderen auf und vermieden es, Lucy anzusehen. Die drehte sich mit brennenden Augen zu Kevin und rechnete damit, dass wenigstens er ihren Auftritt guthieß. Doch seine Miene hatte etwas sonderbar Tadelndes. Sie sank zusammen und legte resigniert den Kopf auf die hochgezogenen Knie. Verflucht sollte sie sein, wenn sie jetzt womöglich zu heulen anfing, sagte sie sich. Sie hatte wegen dieses Gerard Claremonts schon so viele Tränen vergossen, dass es reichte, das Meer aufzufüllen.
Kevins Tadel war seiner Freundlichkeit wegen umso schmerzlicher. »Verfluche ihn meinetwegen, weil er so starrköpfig ist. Verdamm ihn, weil er derart dem Erfolg hinterherhetzt, egal, was es ihn kostet. Aber stelle niemals vor versammelter Mannschaft seine Autorität in Frage.«
Lucy schniefte und hasste sich für die belegte Stimme, die Bände sprach. »Ich hätte wissen müssen,
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