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Verführt: Roman (German Edition)

Verführt: Roman (German Edition)

Titel: Verführt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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bevor sie noch den ersten Zug gemacht hatte.
     
    Die Argonaut zeichnete sich vor dem Nachthimmel ab wie der aufgeblähte Kadaver eines riesigen Drachens. Dunstschwaden liebkosten ihren Bug wie skelettierte Finger, als sei ihr der widerwärtige Nebel der Nordsee bis hierher an diesen Ort gefolgt.
    Gerard umklammerte mit rachelüsterner Vorfreude die Reling. Seine Nasenflügel bebten vom unverkennbaren Geruch des Feindes. Irgendwo da draußen war Lucien Snow, und diesmal würde er Gerard nicht entkommen. Er hatte lange genug gewartet. Der Zeitpunkt war da, an dem der Admiral seine Sünden büßen würde, und zwar auch die, die er gegen den Lebensmut seiner Tochter begangen hatte.
    Über seinen Männern lastete verstörtes Schweigen. Sie wussten nur allzu genau, dass der Stolz Seiner Majestät Marine, die Argonaut , ihren wendigen, kleinen Schoner auf kürzere Distanz zu Kleinholz schießen konnte. Sie wussten, dass hinter den vierundsiebzig Kanonen sechshundert Mann Besatzung standen, die von einer schier unsinkbaren Festung aus Eichenholz beschützt wurden.
    Doch das Vertrauen, das seine Mannschaft in ihn setzte, war förmlich greifbar. Sogar Pudges teigiges Gesicht war wild entschlossen. Der schüchterne Segelmacher schreckte vielleicht vor einem süßen Mädchen in Unterwäsche zurück, aber Gerard hatte nie erleben müssen, dass Pudge im Angesicht einer drohenden Schlacht auch nur mit der Wimper gezuckt hätte.
    Mit kalten Fingern schlich sich der Zweifel seinen Rücken hinauf. Hatten die Männer der Annemarie ihm nicht genauso vertraut? Gerard machte ein finsteres Gesicht. Irgendetwas an diesem Schiff, das da draußen einsam und reglos am Horizont lag, war unheimlich. Es mochte sich absurd anhören, doch er hätte lieber gegen einen ganzen Flottenverband gekämpft, der unter dem Oberkommando Seiner Majestät persönlich gestanden hätte.
    »Im Morgengrauen«, sagte er entschieden. »Im Morgengrauen setze ich über und überbringe unsere Forderungen.«
    Kevin und Apollo protestierten unisono, aber Digby übertönte sie alle beide. Der Kanonier pflegte laut zu brüllen, eine Angewohnheit aus den vielen Jahrzehnten, die er damit verbracht hatte, über den Kanonendonner hinweg Befehle zu schreien.
    »Verflucht, Captain, möcht Sie nicht beleidigen. Aber das is’ der schlimmste Unsinn, den man sich denken kann.« Digby kratzte sich mit Fingern, die das Schießpulver unwiderruflich geschwärzt hatte, das kahler werdende Haupt. »Ich bin bestimmt kein Genie, Sir, aber so wie ich das seh, sind Sie diesem Bastard von Snow genauso wichtig wie die junge Miss. Wenn er Sie als Geisel nimmt, was machen wir dann? Dasitzen und uns die Hintern kratzen?«
    »Er hat Recht«, sagte Kevin. »Du solltest auf keinen Fall selber gehen.«
    Gerard blickte in ihre besorgten Gesichter und erkannte, dass Kevin an Bord der Retribution nicht sein einziger Bruder war. »Das ist meine Sache. Ich werde keinen von euch noch weiter da mit hineinziehen, als ich es eh schon getan habe.«
    »Lassen Sie mich gehen, Sir«, sagte Apollo. »Als Ihr stellvertretender Kommandant.«
    Digby ließ einen beeindruckenden Fluch hören, stieß den afrikanischen Riesen rüde mit dem Ellenbogen zur Seite und baute sich in seiner ganzen ausgetrockneten Größe vor Gerard auf. »Ich bin jetzt fünfundsechzig, Captain und Kanonier seit meinem zwölften Jahr. Hab immer auf dem Unterdeck gesteckt mit nix als Schießpulver und Kanonenkugeln. Wie oft, was meinen Sie, kann ich mir noch ein bisschen Ruhm verdienen?«
    Gerard schaute dem Mann in die Augen, die jetzt vor jugendlichem Tatendrang strahlten. Er verschränkte respektvoll die Hände auf dem Rücken. »Sie stellen sich als Freiwilliger zur Verfügung, Mr. Digby?«
    »Das tu ich, Sir.«
    »Also gut. Ich erwarte Sie bei Morgengrauen an Deck.«
    Digby strahlte wie ein Honigkuchenpferd und zeigte einen ganzen Mund voller kaputter Zähne. Fidget und Tam klopften ihm anerkennend auf den Rücken. Gerard ging zur Reling zurück und wünschte sich, die kalte Vorahnung abschütteln zu können. Einer nach dem anderen schlossen sich seine Männer der schweigenden Wacht an, und in ihren Augen spiegelte sich Gerards grimmigster Zweifel, während sie alle der einen, unausgesprochenen Frage nachhingen, die keinem aus dem Kopf ging.
    Gab es irgendwo ein Lösegeld, im Himmel oder auf Erden, das von größerem Wert war, als die heiß geliebte Frau ihres Captains?
     
    Lucy litt unten in der Kapitänskajüte Höllenqualen und lief

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