Verführt: Roman (German Edition)
Sicherheit sind. Ans Ende der Welt, wenn es sein muss.«
Er schüttelte traurig den Kopf. »Columbus hat bewiesen, dass die Welt rund ist, meine Liebste. Egal wie weit wir segeln, am Ende sind wir wieder da, wo wir hergekommen sind.«
»O Gott«, flüsterte Lucy. »Du willst mich zurückbringen, nicht wahr?«
Sein Schweigen war Antwort genug.
Sie blinzelte die verräterischen Tränen fort und streckte die Hände aus. »Das ist eine verflucht gute Idee! Eine ganz kapitale Idee! Du lieferst mich einfach vor Vaters Tür ab. Ich frage mich nur, wie lange es dauert, bis ich an einem nie zu klärenden Sturz von der Treppe sterbe, oder einem verdorbenen Stückchen Bückling.«
»Ich bringe dich nicht zu deinem Vater. Ich bringe dich zu Smythe. Er weiß, wie er dich beschützen kann. Er ist ein Mann, dem man vertrauen kann.«
Aus Angst, Gerard sei scharfsinnig genug, ihre Vermutung zu erahnen, drehte Lucy das Gesicht weg und verlor auf der Stelle den Kampf gegen die Tränen. Heiß tropften sie ihr die Wangen hinunter. Lucy musste sie erst fortwischen, bevor sie sich wieder umdrehte.
»Also gut, Gerard Claremont, dann bringst du mich eben zurück. Nicht jeder, der der Royal Navy angehört, ist so korrupt wie mein Va-«, sie brach ab und machte kurz die Augen zu, bis sie sich wieder gefasst hatte, »- wie Lucien Snow. Es muss auch ein paar gute Männer geben. Männer, die auf vernünftige Argumente hören. Ich mache sie ausfindig und wasche deinen Namen rein, bei Gott, das tue ich. Und wenn ich zum Lord High Admiral gehen muss.«
Gerard kam über den Strand marschiert und packte sie grob bei den Schultern. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. »Du wirst nichts von alledem tun. Es sei denn, du willst, dass sie deinen hübschen kleinen Hintern nach Newgate schaffen, weil du einem gesuchten Verbrecher geholfen hast und des Hochverrats verdächtigt wirst. Weißt du, was sie Frauen wie dir an solch einem Ort antun? Aber falls der Admiral von deinen Aktivitäten Wind bekommt, bevor die Behörden es tun, dann brauchst du dir darum keine Sorgen mehr zu machen. Er hat bereits bewiesen, wie weit er gehen würde, um dich zum Schweigen zu bringen.«
»Und was, verdammt noch mal, soll ich dann tun?«, schrie sie und war im Nachhinein dem guten, verblichenen Mr. Digby dankbar, weil der sie mit dem Vokabular ausgestattet hatte, dass für derart absurde Gespräche nötig war. »Mich auf meinen hübschen, kleinen Hintern setzen und Strümpfe stricken, bis du zu mir zurückkommst?«
Sein Zorn wich tiefer Reue, Lucy mit jenem Wissen ausgestattet zu haben, das schmerzlicher sein musste als alles, was sie sich je hatte vorstellen können.
Gerards Gesicht verschwamm vor Lucys Augen. Ihre Knie gaben nach. Doch anstatt sie aufzufangen, half Gerard ihr liebevoll, sich in den Sand zu knien, und strich mit einem Mitgefühl, dass für sie beide ausreichte, mit der Hand über ihr Haar.
Hätte Lucy auch nur einen Herzschlag lang geglaubt, dass er sie nicht liebte, dass er sie nur benutzt hatte, um sie fortzujagen, sobald seine Neugier befriedigt war, sie hätte ihn vielleicht auf Knien gebeten, von seinem Vorhaben abzulassen und sich mit ihr zusammen eine Zukunft zu erkämpfen.
Aber sie wusste es besser. Gerard war einer jener seltenen Männer, die taten, was getan werden musste, ohne sich um den Preis zu kümmern. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zuzuschauen, wie er sich umwandte und den verlassenen Strand hinunterging, den Blick auf die See gerichtet, die er so liebte und in deren azurblauen Armen er Trost fand.
30
Eisige Windböen pfiffen über die weißen Schaumkronen und verwandelten den Nordatlantik in einen bedrohlichen, brodelnden Hexenkessel. Der Sturm durchdrang den groben wollenen Uniformmantel, doch Lucy zitterte nicht. Sie hatte sich an die beißende Liebkosung gewöhnt und zog die eintönige Aufrichtigkeit der See der verlogenen Wärme einer Kajüte vor, die wie eine gemütliche Zuflucht wirkte, ihr Herz aber ungeschützt ließ, bis es schmerzte und blutete.
Eine dünne Eisschicht bedeckte die Bugreling, auf der blutleer ihre Hände lagen. Nichts wünschte Lucy sich mehr, als endlich völlig abzustumpfen, doch absurderweise schien sie die Fähigkeit, Gefühle auszublenden, eingebüßt zu haben. Jetzt fühlte sie unablässig den Schmerz, dieses dumpfe, hohle Gefühl in der Magengegend. Dennoch hatte sie seit jenem Tag vor Teneriffa keine einzige Träne vergossen, außer denen, die der rastlose Wind ihr in die Augen
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